Kabbala-Box (2 Romane in einem Band)
anderen Männern – wahrzunehmen. Es rebellierte alles in mir, mein Verstand, meine Gefühle, mein Körper, ich wollte nicht mehr so sein wie ich war; nur leider dauerte dieser Reifungsprozess sehr lange. Ich wehrte mich nicht mehr gegen die Scheiße, ich wurde ein Teil von ihr.
Auf jeden Fall versuchte der Arzt mich von seiner Fick un schuld zu überzeugen. Ich gab klein bei und glaubte ihm. Wir hatten somit wieder Spaß zusammen. Ich liebte ihn ja, das fühlte ich doch und gleichzeitig war da dieses Misstrauen, das einen Großteil meiner Gedanken ausmachte und jeden Tag vergewaltigte. Ein Auf und Ab, wie ein Seekranker auf hoher See, so fühlte ich mich: zum Speiben. Durch die Syphilis, die nach einer Routineuntersuchung bei Karl diagnostiziert worden war, konnte der Arzt nicht länger drumrum reden und verklickerte mir den Ernst der Lage.
Nach einer Spritze vom Onkel Doktor im LKH Graz auf der Dermatologie, war ich nach vie rzehn Tagen wieder fickbereit. Dieser Vertrauensbruch führte dazu, dass mein Kontrollzwang nur noch größere Wellen schlug. Ich durchsuchte ständig sein Handy und seine E-Mail Nachrichten (wo er E-Mails von einem Freund aus Wien bekam, der ihm seine lüsternen Gedanken auf einer Behindertentoilette schilderte. Sehr bewegend). Und einmal, da hatte er vergessen aus dem Gayromeo (das gemeinnützige Zusammentreffen von AIDS-Schleudern und Bareback-Usern) auszusteigen und ich konnte ungeniert seine doofen Chatpartner begutachten. Manch ein Jungspund war dabei (Gayromeo kontrollierte das Alter ja nicht), was wirklich traurig war, und natürlich geisterte dieser Karl ebenso durch die Chatnachrichtendatenbank wie teufelchen17 . Sie gaben sich im Chat immer zärtliche Tiernamen wie Hase und Raupe und ich bekam dabei einen Weinkrampf. Ich war wirklich kurz davor einen Schlussstrich zu ziehen und zu gehen, auf Wiedersehen zu sagen; weg zu gehen; aber es sollte noch etwas Tiefgreifenderes geschehen, um mich endlich davon zu überzeugen zu gehen, das Handtuch zu werfen, zu resignieren … aufzugeben.
Seine Fickprofile, davon hatte er mehr als genug, waren so angelegt, dass für jeden schwulen Mann von Österreich bis Indien, etwas dabei war. Am signifikantesten änderte sich natürlich das Alter des Arztes von Profil zu Profil. Wenn er sein Schwanzbild verschickte, war er selbst nicht auf dem Foto zu sehen. Erstens hätte man da ja sein richtiges Alter erkannt (die schlaffe Bauc hdecke fiel natürlich niemandem auf) alles konzentrierte sich auf den Schwanz und zweitens war das Zeigen seines Fotos für die öffentliche Gemeinde der Schwulen auch nicht so gut, es hätte ja ein Patient dabei sein, ihn erkennen und somit bloßstellen können!
Um deutliche Spuren zu hinerlassen, löschte ich einmal das für mich neue Fickprofil mit Namen Hochstapler . Während meiner großen Löschaktion kam seine Ehefrau in das Arbeitszimmer, sie hörte mich wohl heulen. Sie war relativ ruhig und gelassen und meinte, dass sie das alles eh schon wusste, und sie würde mir den Rat geben, zu gehen. Ich versprach zu gehen, vorher aber mit dem Arzt über seine Vergehen zu sprechen. Sie nickte und bat mich mit niemandem über das zu sprechen, was ich in diesem Haus gesehen und erlebt hatte.
Kurz darauf war ich schon beim Arzt im Zimmer und sprach mit ihm über das, was ich en tdeckt hatte. Ich sagte ihm, er sollte sich genieren, ein weiteres Profil auf diesem hirnlosen Gayportal angelegt zu haben. Dieser sechsundfünfzig jährige Mann hatte ein großes Problem: DAS ALTER und ich wollte ihm dabei helfen, dieses Problem loszuwerden. Denn das Alter ist doch etwas Wunderbares. Man sieht Kinder heranwachsen, die zu eigenständigen Individuen werden, die Welt ändert sich – mal zum Guten mal zum Schlechten –, alles ist in Bewegung: der Geist, der Verstand, die Liebe, das Leben. Wozu ewig jung bleiben? – Um die gleiche Scheiße immer wieder neu durchzumachen?
Der Arzt und ich trennten uns in diesen frühen Morgenstunden nicht. Ich weiß noch, wie ich seine Frau umarmte, ihr ins Ohr flüsterte, dass alles wieder gut war, und mit einem Lächeln das Haus verließ.
Sie lächelte nicht.
Teil II
Die Außengeschichte
„Lasst uns ein Symbol nun sein,
für den ewigen Sonnenschein“
Verfasser unbekannt
Nachdem ich dich kennenlernte
Die Flügel am Boden,
das Messer daneben.
Ein Blick nach oben;
die Hände erheben.
Ein Schrei voller Schmerzen
durchströmt
Weitere Kostenlose Bücher