Kabbala-Box (2 Romane in einem Band)
sehe ich es jetzt ein – ist eine verdammt starke Kraft. Sie lässt einen die verrücktesten Sachen durchstehen.
Der morgendliche Schmerz in der rechten Wade ist verschwunden.
Ich versuche mich zu konzentrieren, auf etwas Vergangenes, aber es kommt nichts, nichts wirkliches. Die Luftblasen schwirren um mich herum, sie verlassen mich, ich reboote neu. Ich reboote mein Leben neu. Neu hochfahren. Es ist gut. Es tut gut. Ich sehe wie ein Meer voller Seifenblasen aus mir herausströmt – vielleicht werde ich nur verrückt – auch gut. Die schlechten Erinnerungen verlassen mich, aber auch die guten Erinnerungen, ich fange nochmals von vorne an. Und ich laufe schneller, meine Beine, mein ganzer Körper ist schwerelos geworden.
„Ich fange jetzt nochmals von vorne an“, sage ich und die kalte Luft füllt meine Lunge aus.
Keine Erinnerung belastet mich. Nichts. Ich denke auch nicht mehr an die vielen Sexorgien, die der Arzt gefeiert hat, nur um ein paar lächerliche Triebe zu befriedigen, die ihn nicht befriedigt haben, da er gefangen war, gefangen in einem Gefängnis, das er aufgebaut hat und aus dem er nicht mehr entfliehen kann.
Und ich sage zu mir: „Jetzt“, und ich spüre, dass jetzt die beste Möglichkeit ist, damit anzufa ngen, neu anzufangen. Rebooten.
Mittlerweile stehe ich wieder vor dem Haus des Arztes. Die Luft ist nicht mehr ganz so kalt. Ich möchte mich lösen. Ich starre ins Leere und die Leere starrt zurück.
Viel zu dunkel, viel zu du nkel. Es könnte auch daran liegen, dass ich die Augen schon seit 3-Minuten geschlossen halte. „Augen auf“, sage ich zu mir. Es bleibt dunkel.
Ohne Liebe möchte ich nicht sein, zuerst die Selbstliebe, dann die Nächstenliebe. Selbstliebe heißt doch, mit sich und anderen im Reinen zu sein. Das was man ist, ist gut genug. Ich starre ins Leere und die Leere starrt z urück.
Ich drehe mich um, hinter mir das Haus, es ist finster, kein Dämmern zu erkennen, und ich möchte schreien, schreien deshalb, weil ich mich leer fühle. Ich fühlte mich noch nie leer und es sollte doch wenigstens ein Gefühl in einem Menschen vorhanden sein; aber da ist nichts. Ich starre in die Leere und die Leere starrt zurück.
Ich schreie.
Die kalte Luft füllt meine Lungen aus, ich fühle plötzlich diese Naturgewalt in mir, alles was man Umgebung nennt und es ist positiv, es ist ein neues Gefühl der Freiheit. Ich bin frei. Das tut gut. Es ist schön. Frieden. Ich schreie das Innerste aus mir hinaus. In mir sieht es aus wie ein Schrei, jeder Atemzug wälzt sich jetzt in einem Scherbe nhaufen. Ich weiß, dass es vom Schreien nicht besser wird, die Summe der Schreie lässt den Schmerz für kurze Zeit vergehen. Aber ich schreie. Jetzt! – Ich fühle mich jetzt, lade mich auf … Energie!
Um mich verschwimmt alles. Eine grau-grüne Collage entblößt sich mir, während ich lediglich schreie, Geräusche aus meinem Höllenmund herauslasse, rausposaune, die genau so in mir stat tfinden. Ich bin ein schreiender Schmerz, ein fickendes Schaf und schwach. In mir schreit es. Mir geht die Luft aus. Stille.
Was ist passiert? Wo bin ich?
Ich starre verflucht nochmals; ich starre in eine endlose Leere und sie starrt erbarmungslos zurück.
„The winner takes it all … the loser is standing small!“, sagt eine fremde Stimme, Zeile für Ze ile, Wort für Wort.
Ich schreite am Zaun entlang, der über und über mit dem österreichischen Begrenzungskraut, genannt Tuien, verwachsen ist. Hinter dem Haus ist noch ein kleines Stallgebäude, das nicht mehr für Tiere gebraucht wird, sondern einzig allein der Kifferszene aus der Umgebung als Rückzugsort dient.
Oskar kommt auf mich zu. Ich stehe neben dem kleinen Stallgebäude, das über und über mit Grünzeug verwachsen ist.
– Und ich fühle mich so, als ob ich die Tonbandkassette meiner eigenen Obduktion abgeschri eben hätte.
Ich setze mich mitten in die Seitengasse der Theodor-Körner-Gasse hin, auf meinem Arm Oskar. Ich streichle das Wollknäuel und atme tief durch. Ein paar Mal kommen mir Entschuldigungssprüche über die Lippen. Es ist nicht gut wie ich mich aufführe, anstatt mich einfach zu besaufen und fortzugehen, hocke ich am Straßenrand und streichle eine Katze. Aber vielleicht ist mein Seelenpartner ja auch eine Katze, ich lache und sage zu Oskar: „Du, wollen Rose kaufen? Ha-ha-ha.“
Ich denke an die Worte von Louise Hay, die sagt, man sollte loslassen. Ich heule tief gebückt, drücke Oskar an
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