Kabeljau und Kaviar
glauben, daß sie Obed Loyalität schuldet, auch wenn sie ihm
nie einen Pfifferling bedeutet hat. In meiner übergroßen Voreingenommenheit
würde ich sogar behaupten, daß Obed Ogham für keinen einzigen Menschen außer
für sich selbst irgendwelche Gefühle hegt. Seine Mutter hat ihn nach Strich und
Faden verwöhnt, als er noch ein Balg war, und er ist in der Überzeugung
aufgewachsen, daß er die Perle ist und der Rest der Menschheit seine Muschel.
Ich habe ihm zu diesem Thema bereits den Kopf zurechtgerückt, als wir noch
beide Internatsschüler in Rivers waren.«
»Bevor man dich rausgeworfen hat?«
»Merkwürdigerweise hat man mich dort
gar nicht rausgeworfen. Den Grund kenne ich allerdings selbst nicht. Im großen
und ganzen war die Schulleitung nämlich nicht gerade zimperlich. Jedenfalls hat
Ogham seitdem kein Wort mehr mit mir wechseln wollen, und ich muß sagen, daß
die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruht. Du hast doch gestern abend nicht den
Fehler gemacht, dich auf irgendeine Weise versöhnlich zu zeigen?«
»Ich dachte, ich hätte dir bereits
klargemacht, daß ich dazu gar keine Gelegenheit hatte, selbst wenn ich gewollt
hätte«, beruhigte ihn Max. »Wir sind uns nicht einmal vorgestellt worden.«
»Das war sicher Marcia Whets Verdienst,
nehme ich an. Aus Achtung vor mir hat sie dafür gesorgt, daß du vor der Schande
bewahrt worden bist, mit diesem Abschaum der menschlichen Spezies Höflichkeiten
austauschen zu müssen. Eine wunderbare Frau, diese Marcia Whet. Oh Gott, ich
hoffe bloß, sie wird schnell wieder gesund.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Max und
erinnerte sich mit wachsendem Unbehagen daran, mit welchem Enthusiasmus sie dem
Kaviar zugesprochen hatte. »Na, immerhin wird sie in der Zeitung nicht unter
den Opfern genannt.«
»Das heißt gar nichts«, knurrte Jem.
»Diese Morgenausgaben gehen noch vor Mitternacht in Druck. Du kannst dir gar
nicht vorstellen, wie es früher in der Newspaper Row herging, als der Globe und die Post noch dort erschienen. In den alten Holzhäusern
ratterten die ganze Nacht die Druckerpressen, und irgendein junger Spund rannte
nach draußen auf den Bürgersteig und schrieb mit Kreide die letzten Meldungen
auf Riesentafeln. Wir standen herum und haben sie gelesen und sind dann runter
ins Pie Alley gegangen und haben
mit den Zeitungsfritzen einen gehoben. Tom, Wouter und ich. Und jetzt ist
Wouter tot, Tom steht das Wasser bis zum Hals, und ich liege hier und kann mich
nicht mehr regen. Verdammter Mist, Max, du mußt unbedingt etwas unternehmen!«
»Deshalb bin ich ja hier«, erinnerte
ihn Max mit bewundernswerter Geduld. »Was Ogham angeht, frage ich mich
allerdings, ob er es überhaupt schaffen würde, sein großes Maul lange genug zu
halten, um eine derartige Vorstellung durchzustehen. Der angebliche Sommelier
hat nämlich keinen Ton gesagt, außer zu den Frauen vom Party-Service im
Dienstabteil, und die konnten seine Stimme nicht identifizieren.«
»Wie lange hat diese Vorstellung denn
etwa gedauert?«
»Nicht länger als fünf Minuten, würde
ich sagen.«
»Fünf Minuten, das ist nicht gerade
lang. Ich vermute, Ogham wäre durchaus in der Lage, sich für diese Zeitspanne
zusammenzureißen. Seine Motive müßten nur niederträchtig genug sein. Was sein
schauspielerisches Talent betrifft, wäre ihm auch das zuzutrauen. Ogham ist
Anwalt oder war es zumindest. Ich möchte wetten, daß man ihn inzwischen wegen
irgendeiner schmutzigen Sache aus der Anwaltskammer ausgeschlossen hat, aber
ich habe gehört, daß er für seine dramatischen Einlagen vor Gericht berühmt
war.«
»Wundert mich kein bißchen. Das paßt zu
ihm. Aber wie hätte er die Große Kette in seinen Besitz bringen können? Da ihr
ja beide miteinander in Fehde liegt, wäre es doch sicher überaus schwierig für
ihn gewesen, sie dir wegzunehmen?«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, wie überhaupt irgendeiner die Kette hätte stehlen können. Aber da
es nun einmal so gekommen ist, muß ich gezwungenermaßen zugeben, daß Ogham dazu
soviel Gelegenheit hatte wie jeder andere auch. Er war eine grauenhafte
Fehlbesetzung als Geist der gegenwärtigen Weihnacht, was bedeutet, daß er
meinem Platz sehr viel öfter nahekommen konnte, als mir lieb war, das kannst du
mir glauben.«
»Wer hat denn die Rolle fehlbesetzt?«
»Bruder Billingsgate hat in diesem Jahr
unserem Fehlbesetzungskomitee vorgestanden.«
»Ich erinnere mich, daß einige
Billingsgates im Zug waren. Welcher ist es
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