Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
das bei meiner Besichtigungstour nicht recht vorstellen konnte. Die riesigen Dimensionen, der Rund-um-die-Uhr-Betrieb und die mit Vorliebe nachtaktiven Netzwerkingenieure ließen das Rechenzentrum eher menschenleer erscheinen. Als wir durch die endlosen Gänge liefen, sahen wir nur ab und zu jemanden im Schneidersitz auf dem Boden sitzen, den aufgeklappten Laptop an eine der Riesenmaschinen angeschlossen – manchmal saß auch einer auf einem kaputten Bürostuhl mit schiefer Rückenlehne. Es herrschte ein unangenehmer Dauerlärm, die Luft war kalt und trocken, das ständige Dämmerlicht irritierend. Und wenn da einer auf dem Boden saß, dann vermutlich deshalb, weil etwas schiefgegangen war – weil ein Router verrückt spielte, eine Netzwerkkarte »durchgeschmort« war oder irgendein anderes Malheur sein Netzwerk heimgesucht hatte. Während sie mit dem Verstand mit der komplizierten Technik kämpften, nahmen sie körperliche Unbill in Kauf. Als wir an einem übernächtigt aussehenden Typen vorbeikamen, der wie ein trauriger Troll in einem engen Lichtkegel hockte, schüttelte Troyer mitleidig den Kopf: »Schon wieder so ein armer Tropf.« Und dann rief er in den Gang hinein: »Ich weiß genau, was du durchmachst!«
Wir durchquerten den schmalen Raum, in dem die Batterien untergebracht waren, die sofort Ersatzstrom lieferten, falls die normale Stromversorgung ausfiel. Sie stapelten sich auf beiden Seiten bis an die Decke, wie die Schubfächer in einem Leichenschauhaus. Und wir kamen auch durch die Räume mit den Generatoren, die in Sekundenschnelle übernehmen können, wenn die Batterien schlappmachen. In ihnen befanden sich je sechs gelbe Riesendynamos von der Größe eines kleinen Schulbusses, und jeder einzelne brachte eine Leistung von 2 Megawatt (womit sie die 10 Megawatt erzeugten, die allein dieses Gebäude bei voller Auslastung benötigte, und noch 2 Megawatt extra – für alle Fälle). Auch an den 600 Tonnen schweren Kühlaggregaten kamen wir vorbei, die für kühle Temperaturen sorgen: ein riesiges, stählernes Insekt aus Rohren, die den Durchmesser einer großen Pizza hatten. Trotz all der Hightech-Geräte und der unermesslichen Datenmengen – die höchste Priorität von Equinix ist es, die Stromversorgung sicherzustellen und die Temperaturen niedrig zu halten: Das reibungslose Funktionieren der Maschinen von Equinix hält die anderen Maschinen am Laufen.
Das meiste, was ich bislang gesehen hatte, hätte ich auch in jedem beliebigen anderen Datenzentrum zu sehen bekommen. Das Equipment war in speziellen Holzkisten mit Kufen für den Gabelstaplertransport eingetroffen, in Pappkartons mit dem Aufdruck »Cisco«, oder auf der Ladefläche eines riesigen Sattelzugs, dessen Stoßstange die Aufschrift »Achtung, Schwertransport« geziert hatte. Aber schließlich kamen wir doch noch zu einem Raum, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. Auf diesen Raum war ich mehr gespannt als auf alles andere, denn in ihm wurde die unermessliche Weite des Planeten – und das Besondere dieses Ortes – deutlicher. Auf dem Plastikschild an der Tür stand »Glasfaserraum 1«. Morgan sperrte ihn mit einem Schlüssel auf (hier gab es keinen Handscanner) und knipste das Licht an. In der kleinen Kammer war es still und stickig. Sie hatte weiße Wände und Linoleumboden, mit ein paar Dreckspuren vom Lehmboden Virginias. In der Mitte stand ein weitmaschiges Stahlgestell, das aussah wie drei aneinandergestellte Stahleitern. Aus dem Boden ragten bis in Hüfthöhe dicke Plastikrohre, zu beiden Seiten des Gehäuses je ein halbes Dutzend, nach oben offen und so dick wie ein Oberarm. Einige davon waren leer. Anderen spuckten ein dickes, schwarzes Kabel von vielleicht einem Fünftel des Rohrdurchmessers aus. Jedes Kabel war mit dem Netzbetreiber beschriftet, dem es gehörte, beziehungsweise gehört hatte, bevor der von der Konkurrenz geschluckt wurde oder pleite ging: Verizon, MFN , Centurylink. Die Kabel waren am Stahlgestell befestigt und wanden sich in regelmäßigen Spiralen bis hinauf zur Decke, wo sie die oberste Ebene der Kabelkanäle erreichten – den »Innerduct«, in dem die Leitungen der Netzbetreiber verliefen. An diesem Punkt berührte das Internet die Erde.
Es gibt die verschiedensten Arten von Verbindungen. Es gibt die Verbindungen zwischen Menschen, die Millionen Arten der Liebe. Es gibt die Verbindungen zwischen Computern, ausgedrückt in Algorithmen und Protokollen. Doch hier, an diesem Punkt, verbanden sich Internet und
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