Käfersterben
Rechner. Katinka presste die Hände auf die Lautsprecher, um den Windows-Begrüßungston zu dämpfen. Sie durchkämmte die Dateien. Das meiste waren Fotos. Fotos, die abstruse Dinge zeigten, von denen Katinka nicht wusste, was sie eigentlich darstellten. Außer Formen, Farben. Und immer wieder Zerstörungen.
»Ich hab’ was«, rief Britta eifrig.
»Psssst.«
Katinka tappte zu ihr hinüber. In einem Ordner fanden sich mindestens zwanzig Filme. Sie klickten wahllos auf eine der Dateien.
Ein Frauenkörper wurde sichtbar. Eine Frau, bestimmt jenseits der fünfzig, räkelte sich nackt auf einem Sofa. Das Bild wurde grau, Schatten wanden sich über den Körper. Sie verwandelten sich in Schlangen. Farbfunken stoben über den Bildschirm. Der Körper, die Schlangen, die Funken verloschen allmählich. Katinka starrte auf den dunklen Bildschirm. Dann erschien ein Gesicht. Brittas Gesicht.
»Das ist es«, sagte Britta laut.
»Leise!«, zischte Katinka. Sie stoppte den Film.
»Warte doch!«, klagte Britta.
»Halte die Klappe«, flüsterte Katinka. »Wir bauen die Festplatte aus.«
»Was machen wir?«
»Tom hat mir gezeigt, wie man das macht. Bei Laptops geht es ganz leicht.«
Über ihren Köpfen knarrte etwas. Katinka nahm es nur mit halbem Ohr wahr. Sie fuhr den Rechner herunter.
Dann hörte sie etwas Lauteres. Schritte, die sich von oben der Treppe näherten.
»Scheibenhonig«, wisperte Katinka.
Die Schritte tasteten sich langsam die Treppe hinunter. Jemand vermied es, Licht zu machen. In diesem Moment tirillierte der Rechner seine Abschiedsmelodie.
Katinka und Britta sahen sich an. Brittas Augen standen vor Schrecken weit offen, ihr Gesicht glänzte weiß. Als die Schritte schon ganz nahe waren, stieß Katinka ihre Freundin unter einen der Schreibtische. Sie selbst drückte sich hinter die Tür und schaltete die Taschenlampe aus.
Die Schritte entfernten sich. Jemand ging in die große Wohnküche nebenan. Katinka kauerte sich neben den Kachelofen. Der n achtschwärmer nahm sich etwas aus dem Kühlschrank. Sie hörte, wie ein Glas auf den Tisch gestellt wurde.
Wer auch immer das ist: Er hat schlechte Ohren, dachte Katinka. Er hat uns nicht gehört.
Sie warteten. Als Katinka schon zum Schreibtisch zurückschleichen wollte, um die Festplatte auszubauen, hörte sie eine Stimme.
»Jana? Wo steckst du, Liebling!«
Booz!, formte Katinka mit den Lippen. Dabei fiel ihr ein, dass Britta sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte.
»Was ist denn los!« Booz klang gönnerhaft. Der Held, der mit der erregten Jungfrau parliert.
»Über Livio? What for, Baby!«
Katinka wurde heiß. Sie meinte zu ersticken. Presste die Hand auf ihre Kehle.
»Aber woher sollte sie das wissen?«
Jana schien ihm eine Menge Erklärungen zu geben.
»Nein, York hockt im Stall und hört Opern!«, kam es von Booz. Dann folgte eine lange Pause, unterbrochen von wenigen Ahas und Hms.
»Ich schaue mir das an«, versprach Booz. »Und dann komm endlich heim. Ich vermisse dich. Ich mag es nicht, wenn du nachts stundenlang in der Gegend herumzwitscherst.«
Katinka zuckte zusammen, als die Schritte näher kamen. Booz öffnete die Haustür und trat hinaus. Sie hörte, wie er ein paarmal tief durchatmete. Dann ging er davon. Seine Schritte verklangen.
Entschlossen machte Katinka ihre Lampe wieder an, drehte den Laptop um und schraubte mit einem kleinen Kreuzschlitzschraubenzieher den Deckel ab. Es machte ihr keine Schwierigkeiten, die Festplatte herauszulösen. Sie drückte sie Britta in die Hand, während sie aus ihrem Rucksack einen Plastikbeutel nahm. Die Festplatte verschwand darin, ein unschuldiges biss-chen Technik.
»Nehmen wir die andere auch mit?«, flüsterte Britta.
»Nein. Wir wollen die Künstler ja nicht auf Teufel komm raus schädigen. Es geht um die Filme, oder?«
Katinka stellte den Laptop zurück auf den Tisch. Sie befehligte Britta zum Fenster, um zu lauschen, wann Booz wiederkäme. In rascher Folge suchte sie den Rest des Büros ab. Auf dem Regal mit den Video-filmen lag ein Verzeichnis: Booz und seine Kollegen führten genau Buch über all ihre Filme. Sie hatten Vernissagen, Vorträge über Kunst und Happenings aufgezeichnet.
»Nichts mit Frauen«, murmelte Katinka und machte sich über die Schreibtische her. Möglich, dass sie in der Kürze der Zeit und mit der Panik vor Booz’ Rückkehr etwas übersah. Was für eine Rolle spielt York hier, fragte sie sich. Arbeiten die alle am gleichen Projekt, oder macht jeder seinen
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