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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Blutegel vom Himmel gefallen.«
    »Hm.«
    »Aber Herrn Hoshinos Rücken ist wieder gut, und Nakata freut sich sehr. Herr Hoshino fühlt sich wohl, und Nakata fühlt sich auch wohl.«
    »Ich bin auch froh. Danke.«
    »Freut mich, bitte sehr.«
    »Übrigens, diese Blutegel auf dem Rastplatz Fujikawa?«
    »Jawohl.«
    »Könnten die eventuell irgendetwas mit dir zu tun haben?«
    Ausnahmsweise schien Nakata zu überlegen. »Nakata weiß das nicht. Aber als Nakata den Schirm aufgespannt hat, hat es Blutegel geregnet.«
    »Hm.«
    »Auf alle Fälle ist es nicht gut, Menschen zu töten«, sagte Nakata und nickte entschieden.
    »Ganz recht. Menschen zu töten ist nicht gut«, pflichtete der junge Mann ihm bei.
    »Jawohl.« Abermals nickte Nakata entschieden.
    Am Bahnhof Takamatsu angekommen, kehrten die beiden in ein Udon-Lokal am Bahnhof ein und aßen zu Mittag. Vom Fenster des Lokals aus hatte man einen Blick auf mehrere große Hafenkräne, auf denen überall Möwen saßen. Nakata aß andächtig seine Udon und schien jede einzelne Nudel zu genießen.
    »Sehr schmackhaft«, sagte er.
    »Das ist gut«, sagte Hoshino. »Wie sieht’s aus? Sind wir hier richtig?«
    »Jawohl. Hier ist es richtig.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Wir müssen den Eingangsstein finden.«
    »Den Eingangsstein?«
    »Jawohl.«
    »Hm«, sagte der junge Mann. »Das ist bestimmt eine lange Geschichte.«
    Nakata hob seine Schale zum Mund und trank die Brühe bis zum letzten Tropfen aus.
    »Jawohl. Eine lange Geschichte. Aber Nakata kommt damit auch nicht so zurecht. Vielleicht weiß er es nicht mal, wenn er dort ist.«
    »In der Regel weißt du es doch, wenn du dort bist.«
    »Jawohl, genau.«
    »Aber bis du dort bist, weißt du es nicht.«
    »Jawohl, bis Nakata dort ist, weiß er es überhaupt nicht.«
    »Ist schon gut. Ehrlich gesagt, ich bin auch nicht gut in langen Geschichten. Auf alle Fälle müssen wir diesen Eingangsstein suchen, oder?«
    »Jawohl.«
    »Und weißt du ungefähr wo?«
    »Nakata hat keine Ahnung.«
    »Warum frage ich überhaupt noch?« Der junge Mann schüttelte den Kopf.

25
    Ich schlafe kurz ein, wache auf, schlafe ein und wache wieder auf. Das wiederholt sich ein ums andere Mal. Ich will unbedingt den Augenblick, in dem sie erscheint, abpassen. Doch plötzlich sitzt sie schon auf demselben Stuhl wie in der Nacht zuvor, ohne dass ich etwas bemerkt habe. Die Zeiger der Uhr an meinem Kopfende zeigen kurz nach drei. Die Vorhänge, die ich vor dem Schlafengehen ganz sicher zugezogen habe, sind unbemerkt geöffnet worden. Wie in der vergangenen Nacht. Doch der Mond scheint nicht ins Zimmer. Das ist der einzige Unterschied. Dichte Wolken hängen am Himmel, vielleicht regnet es sogar ein bisschen. Es ist viel dunkler als in der letzten Nacht. Nur das ferne Licht einer Gartenlampe schimmert durch die Bäume und wirft einen schwachen Lichtschein ins Zimmer. Es dauert, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Sie sitzt am Schreibtisch und hat, das Kinn in die Hand gestützt, den Blick auf das Ölbild an der Wand gerichtet. Sie trägt dasselbe Kleid. Wegen der Dunkelheit kann ich, sosehr ich meine Augen auch anstrenge, ihr Gesicht nicht erkennen. Aber dafür treten die Konturen ihres Körpers und ihres Gesichts seltsam scharf und plastisch aus dem Zwielicht hervor. Es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass dort Saeki-san als junges Mädchen sitzt.
    Sie scheint über etwas nachzugrübeln. Vielleicht ist sie in einen langen tiefen Traum versunken. Nein, sie selbst ist ein langer tiefer Traum. Um die Ausgewogenheit ihres Raumes nicht zu stören, halte ich den Atem an und rege mich nicht. Hin und wieder werfe ich einen Blick auf die Uhr. Die Zeit verstreicht langsam, aber stetig und unaufhaltsam.
    Ohne Vorwarnung beginnt mein Herz heftig zu schlagen. Ein hartes trockenes Pochen, als klopfe jemand beharrlich an eine Tür. Der Ton durchbricht mit einer gewissen Entschlossenheit die nächtliche Stille. Am meisten erschrecke ich selbst vor diesem Ton, sodass ich fast aus dem Bett springe.
    Ihre schwarze Silhouette bewegt sich. Sie hebt den Kopf und lauscht in die Dunkelheit. Das Klopfen meines Herzens dringt an ihr Ohr. Sie legt den Kopf ein wenig schief, wie Waldtiere es tun, wenn sie auf unbekannte Geräusche lauschen. Dann wendet sie ihr Gesicht dem Bett zu. Aber sie sieht nicht mich. Das ist mir klar. Ich gehöre nicht zu ihrem Traum. Das Mädchen und ich bewegen uns in zwei durch eine unsichtbare Grenze voneinander getrennten

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