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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zusammen. Er legte sie übereinander ans Kopfende des jungen Mannes und krönte den Stapel – wie um ihm einen Sammelbegriff zu verleihen – mit der Chunichi-Dragons-Kappe. Dann zog er den Hausmantel aus und schlüpfte in Hemd und Hose. Er rieb sich die Hände und atmete tief ein und aus.
    Wieder setzte er sich aufrecht vor den Stein auf den Boden, betrachtete ihn einen Moment und streckte scheu die Hand aus, um ihn zu berühren. »Heute gibt es Gewitter«, sagte Nakata zu niemandem speziell. Oder zu dem Stein. Dann nickte er sich selber mehrmals zu.
     
    Als Nakata vor dem Fenster seine Gymnastik machte, wachte der junge Hoshino endlich auf. Nakata pfiff leise die Erkennungsmelodie der Radiogymnastik vor sich hin und turnte dazu. Hoshino öffnete die Augen einen Spalt und sah auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach acht. Dann drehte er den Kopf und vergewisserte sich, dass der Stein an Nakatas Kopfende lag. Der Stein wirkte viel größer und rauer als im Dunkeln.
    »Also war es doch kein Traum«, sagte Hoshino.
    »Was meinen Sie?«, fragte Nakata.
    »Der Stein«, sagte Hoshino. »Er ist tatsächlich hier. Ich hab nicht bloß geträumt.«
    »Der Stein ist hier«, sagte Nakata knapp, während er seine Gymnastik fortführte. Seine Worte klangen wie die bedeutende These eines deutschen Philosophen aus dem 19. Jahrhundert.
    »W ieso er hier ist, das ist eine schrecklich lange Geschichte, mein Freund«, sagte Hoshino.
    »Jawohl. Das hat Nakata sich gedacht.«
    »Aber lassen wir das.« Der junge Mann richtete sich mit einem tiefen Seufzer auf. »Das Wie und Warum ist ja auch egal. Auf alle Fälle ist er hier. Um die lange Geschichte kurz zu machen.«
    »Der Stein ist hier«, wiederholte Nakata. »Das ist die Hauptsache.«
    Hoshino wollte noch etwas sagen, als er merkte, dass er fürchterlichen Hunger hatte.
    »He, alter Freund, alles was recht ist, ich muss frühstücken.«
    »Jawohl. Nakata hat auch Hunger.«
     
    Als sie nach dem Frühstück ihren Tee tranken, fragte der junge Mann:
    »Was machen wir jetzt mit dem Stein?«
    »Was sollen wir denn damit machen?«
    »Jetzt hör aber auf«, sagte Hoshino kopfschüttelnd. »Ich hab den Stein doch gestern Nacht nur hergebracht, weil du ihn unbedingt finden musstest, oder nicht? Jetzt kannst du mich doch nicht fragen, was wir damit sollen.«
    »Jawohl. Sie haben ganz Recht, aber ehrlich gesagt, weiß Nakata noch nicht, was wir machen sollen.«
    »Das ist ja blöd.«
    »Jawohl, sehr blöd«, sagte Nakata, machte aber keineswegs ein Gesicht, als sei ihm die Sache irgendwie unangenehm.
    »Wenn du eine Weile nachdenkst, kommst du allmählich dahinter, oder?«
    »Jawohl. Vielleicht. Aber Nakata braucht für alles länger als andere Leute.«
    »Nakata, weißt du was?«
    »Jawohl, Herr Hoshino.«
    »Wer ihm den Namen ›Eingangsstein‹ gegeben hat, wissen wir nicht, aber eins ist sicher. Er muss früher vor irgendeinem Eingang gelegen haben. Der Name ist eine Überlieferung oder Beschreibung.«
    »Jawohl. Bestimmt.«
    »Aber du weißt nicht, was für ein Eingang das sein könnte?«
    »Nein, Nakata weiß noch nicht. Er hat oft mit Katzen gesprochen, aber noch nie mit einem Stein.«
    »Mit einem Stein zu reden ist wahrscheinlich schwierig, was?«
    »Jawohl. Ganz anders als mit Katzen.«
    »Aber ob man nicht doch verflucht wird, wenn man eigenmächtig so etwas Wichtiges aus einem Schrein nimmt? Allmählich mache ich mir doch Sorgen. Erst bringen wir ihn her, und jetzt wissen wir nicht, was wir damit sollen. Colonel Sanders hat zwar gesagt, man würde nicht verflucht, aber jetzt traue ich dem Kerl nicht mehr so recht.«
    »Colonel Sanders?«
    »Da war ein Mann, der so hieß. So einer, wie man ihn oft auf den Schildern von diesen Kentucky Fried Chicken-Imbissen sieht. Weißer Anzug, Bart, unauffällige Brille … Du weißt schon.«
    »Verzeihung, aber Nakata kennt den Herrn nicht.«
    »Ach so, du kennst Kentucky Fried Chicken nicht. Ist heutzutage auch selten geworden. Egal. Aber dieser Mann selbst ist eine abstrakte Idee. Er ist kein Mensch, kein Gott und auch nicht Buddha. Und weil er eine abstrakte Idee ist, hat er keine Form. Doch weil er eine Erscheinung brauchte, hat er zufällig diese Gestalt angenommen.«
    Nakata machte ein etwas betretenes Gesicht und rieb sich mit der falschen Hand seinen stoppligen Graukopf. »Nakata weiß nicht, was das ist.«
    »Ehrlich gesagt, ich auch nicht«, sagte der junge Mann. »Aber auf alle Fälle ist so ein eigenartiger Mann von irgendwoher

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