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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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bewusstlose Junge namens Nakata weiter im Armeekrankenhaus bleiben konnte, war nur dem persönlichen Interesse Major Toyamas an dem Fall zu verdanken sowie dem Umstand, dass er damals eine gewisse Befehlsgewalt in dem Krankenhaus innehatte. So war es uns möglich, das Militärkrankenhaus weiter täglich zu besuchen oder abwechselnd dort zu übernachten, um den Zustand des bewusstlosen Jungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beobachten.
    Seine Körperfunktionen waren völlig zufriedenstellend. Er wurde intravenös ernährt und urinierte regelmäßig. Wenn abends das Licht im Zimmer ausgeschaltet wurde, schloss er die Augen und schlief; am Morgen öffnete er sie wieder. Er war eindeutig nicht bei Bewusstsein, schien aber ansonsten keine Probleme zu haben und bei guter Gesundheit zu sein. Auch im Tiefschlaf schien er nicht zu träumen. Wenn Menschen träumen, bewegen sich als Reaktion auf das Geträumte ihre Augäpfel, und ihre Mimik verändert sich. Das Bewusstsein reagiert auf die Erlebnisse im Traum, so dass die Anzahl der Herzschläge sich erhöht. Diese Anzeichen waren jedoch bei Nakata nicht auszumachen. Herzfrequenz, Atmung, Körpertemperatur bewegten sich zwar ein wenig unter den Normalwerten, waren aber erstaunlich stabil.
    Es klingt vielleicht seltsam, aber es schien, als hätte der Junge seinen Körper als leere Hülle zurückgelassen und dessen Versorgung während seiner Abwesenheit durch eine Senkung der lebenswichtigen Funktionen gewährleistet. Alles wurde soweit aufrechterhalten, derweil er selbst irgendwo anders hingegangen war, um etwas anderes zu machen. Dabei kommt mir ein Begriff wie temporäre Metempsychose in den Sinn. Der Körper bleibt zurück, während die Seele auf Wanderschaft geht. Ist Ihnen diese Vorstellung geläufig? So etwas kommt in japanischen Märchen häufig vor. Eine Seele verlässt zeitweise den Körper und begibt sich auf eine weite Reise an einen Ort, an dem sie etwas Wichtiges zu erledigen hat. Danach kehrt sie wieder in den ursprünglichen Leib zurück. In der Geschichte vom Prinzen Genji tritt ein solcher »lebendiger Geist« auf. Das ist etwas Ähnliches. Nicht nur die Geister von Toten verlassen den Körper, auch die von Lebenden können das tun – wenn der Wille dazu übermächtig wird. Vielleicht ist eine solche Vorstellung von der Seele in Japan seit alters her verbreitet und gilt als ganz natürlich? Selbstverständlich ist es völlig ausgeschlossen, so etwas medizinisch nachzuweisen. Ja, ich wage sogar kaum, eine solche Vermutung zu äußern.
    Realiter waren wir natürlich in erster Linie bestrebt, den Jungen aus seinem Zustand zu erwecken. Ihn ins Bewusstsein zurückzuholen. Wir experimentierten verzweifelt, um die Hypnose (durch irgendein Gegenmittel) aufzuheben. Dabei probierten wir alles Erdenkliche aus. Wir holten die Eltern und ließen sie laut seinen Namen rufen. Über Tage. Keine Reaktion. Wir versuchten es mit allen Kniffen und Suggestionstechniken, die bei Hypnose angewendet werden. Wir klatschten vor seiner Nase in die Hände. Wir spielten ihm die Musik vor, die er gerne hörte, lasen ihm aus Schulbüchern vor, hielten ihm seine Lieblingsspeisen vor die Nase. Wir holten die Katze der Familie, an der der Junge offenbar sehr hing. Wir rissen uns beide Beine aus, um ihn in die reale Welt zurückzurufen, aber der Erfolg blieb buchstäblich gleich Null.
    Doch zwei Wochen, nachdem wir mit unseren Versuchen begonnen hatten – praktisch jedes Mittel hatten wir angewandt, wir waren mit unserer Weisheit am Ende und hatten alle Hoffnung aufgegeben –, da wachte der Junge plötzlich auf. Er kam zu sich, ohne dass wir es uns als Verdienst anrechnen konnten. Sang- und klanglos, ohne jede Vorankündigung wachte er auf. So als sei der festgesetzte Zeitpunkt gekommen.
    War an diesem Tag etwas geschehen, das vom normalen Tagesablauf abwich?
     
    Nichts Erwähnenswertes. Alles hatte seinen gewohnten Verlauf genommen. Gegen zehn Uhr vormittags hatte die Krankenschwester sich allerdings beim Blutabnehmen verschluckt, und es war Blut auf das Bettzeug gespritzt. Keine besonders große Menge, aber die Laken wurden sofort gewechselt. Das war das einzige. Etwa eine halbe Stunde später wachte der Junge auf. Er setzte sich ganz plötzlich im Bett auf, streckte sich und schaute sich um. Er war wieder bei Bewusstsein, und sein Gesundheitszustand war aus medizinischer Sicht einwandfrei. Bald stellte sich jedoch heraus, dass ihm jegliche Erinnerung abhanden gekommen war. Er wusste

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