Kains Erben
Bewunderung.
Mit den Weihnachtsfeiern, die er in seinem aufwendig ausgebauten Tower abhielt, feierte Edward zugleich seine Rückkehr nach England. Prunk und Prasserei, wie man sie den Höfen auf dem Kontinent nachsagte, waren nicht seine Sache, aber die Ausstattung der Festlichkeiten kündete durchaus von Englands Platz unter den führenden Königreichen Europas. Edward hatte den Adel zusammengerufen, um es sich nach vereinter Anstrengung wohlergehen zu lassen – aber auch um bei gutem Essen, französischem Wein und Unterhaltung die nächsten Schritte des Weges zu bereiten, wie solche Schritte immer bereitet wurden: hinter vorgehaltenen Händen.
Ein einziges Mal hatte Cyprian dabei sein wollen. Nicht als Zaungast. Sondern als einer der Spieler, die die Figuren auf dem Brett bewegten. Die Macht, die in diesen mit immergrünem Laub geschmückten Sälen, an in Damast gedeckten Tischen verteilt wurde, verschaffte einem Mann alles, was er sich nur wünschen konnte: Wohlstand, Ehre und die Bewunderung herrlicher Frauen. Warum nur waren die leuchtenden Jahre, in denen er seine Manneskraft in jeder Bewegung gespürt hatte, vorübergegangen, während er ohne Einfluss auf einer veralteten Burg in Yorkshire saß?
Er hatte seine Hoffnungen auf die falschen Pläne gesetzt. Die Insel. Immer wieder die Insel. Hätte er sich nicht so darauf versteift, das umkämpfte Torhaus für seinen König zu erringen, hätte er womöglich mit einem anderen, weniger hochfliegenden Plan Erfolg gehabt. Es half nicht mehr. Er war zu alt, um etwas Neues zu beginnen, war nur hergekommen, weil etwas in ihm die Hoffnung noch immer nicht aufgeben konnte. Weil er einmal dabei sein wollte, wenn zur Musik der Pfeifen und Fiedeln Englands Geschicke gelenkt wurden. Weil er dafür geboren war.
Der Winter war keine gute Zeit für ihn. Seit er damals so schwer verletzt worden war, litt er unter Schmerzen an sämtlichen Narben, sobald die kalte Zeit anbrach. Auch wusste er natürlich, dass es Menschen gab, denen er bei Hof aus dem Weg gehen musste, ja, dass er womöglich niemanden fand, der über sein Kommen erfreut war. Der verdammte Robert mit seinen ewigen Kratzfüßen hatte ihn gewarnt. Er solle, mit Verlaub, doch auf eine Gelegenheit bei wärmerem Wetter warten, vor allem auf eine, bei der nicht Hinz und Kunz versammelt waren. Letzten Endes hatte Cyprian dem buckligen Gespenst einen Fausthieb verpasst, mit dem er es auf seinen Platz verwies. Seinen Kastellan schlug man normalerweise nicht, denn ein Kastellan war kein gewöhnlicher Untergebener, aber was blieb einem zu tun, wenn einem nichts gelassen wurde, um sich an die eigene Kraft zu erinnern? Robert schien es genauso zu sehen, denn er steckte den Hieb protestlos ein und hörte auf, wie eine Ehefrau zu nörgeln.
In den ersten Tagen hatte es beinahe den Anschein, als sollte Robert mit seiner Warnung recht behalten. Das Wetter war entsetzlich, Tag und Nacht fiel Schneeregen, und die Reise entpuppte sich als einzige Strapaze. Seine Unterbringung im Tower ließ zu wünschen übrig. Mit mehreren anderen Herren, von denen keiner dem Hochadel angehörte, teilte er sich ein zugiges Zimmer, in das der Gestank des Flusses stieg. All das aber hätte Cyprian in Kauf genommen, hätte man ihn nur an dem Treiben in den Festsälen Anteil nehmen lassen. Stattdessen wurde er mit denselben bedeutungslosen Herren an einem Tisch weit entfernt vom königlichen Podium platziert und dort vergessen. Die Speisen waren üppig und die Weine erlesen, aber darauf hatte Cyprian nie Wert gelegt. Einmal mehr war es, als sei er zu einem Fest erschienen, zu dem er nicht geladen war.
Wenn Mitte Januar das Parlament eröffnet wurde, in dem ihm immerhin ein Sitz zustand, würde er nicht mehr hier sein, denn zu bleiben würde den bitteren Geschmack der Demütigung nur verschärfen.
Dann aber, ausgerechnet in der Nacht, in der das neue Jahr anbrach, wendete sich das Blatt. Die meisten Gäste waren vom Kronsaal, in dem gegessen wurde, in den angrenzenden Raum hinübergegangen, wo getanzt und gesungen werden sollte. Auch der König und die Königin gingen, wenn sie sich auch nicht damit verlustieren würden, im Kreis zu hüpfen.
Cyprian hatte dem Tanz nie etwas abgewinnen können. Es war stets der schöne Gregory gewesen, der sich in solche Vergnügungen gestürzt und mit seiner viel zu hohen, viel zu welschen Stimme dazu gesungen hatte. In dem Gesang, der jetzt aus dem Tanzraum drang, war keine Stimme so herausragend, so verdammt
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