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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Platz hatte.
    Das Volk der Juden, das seit Jahrhunderten dem Schutz des Königs unterstand, hatte diesen Platz verloren. Edward bestimmte, dass Juden kein Geld mehr gegen Zins verleihen durften, sondern ehrbaren Berufen nachgehen mussten, obgleich keine Gilde sie aufnahm. Christen durften nicht länger in der Nähe von Juden wohnen und mit ihnen keinen nahen Umgang mehr pflegen. Juden war es nur noch erlaubt, in Städten zu siedeln, die über eine Archa – ein Judenarchiv – verfügten, doch auch dort durften sie keinen Grundbesitz und kein Haus mehr erwerben.
    Vyves glaubte zu verstehen, was Gideon quälte. Der Freund hatte seine liebste Esther, Vyves’ Base, geheiratet, er hatte ein Töchterchen, das süßer als Honigwein war, und er erwartete sein zweites Kind, einen Sohn, wie er sehnlichst hoffte. Gideon schämte sich, weil er seine Familie nicht vor Kränkung schützen konnte.
    Vyves versuchte nicht noch einmal, ihn zu berühren, und auch nicht, ihn mit hohlen Worten zu trösten. Zu tun, als ließe sich jeder Schmerz teilen, war lachhaft und ihrer Freundschaft nicht würdig. Stumm ging er weiter.
    Gideon zögerte einen Augenblick, dann fiel er in Schritt und kam ihm nach. »Vyves?«
    Vyves drehte sich im Gehen um.
    »Nimm’s mir nicht krumm. Dass du ein feiner Kerl bist, weißt du, oder?«
    »Schana tova u’metuka« , sagte Vyves, ohne stehenzubleiben. »Hab ein gutes, süßes neues Jahr.«
    »Darf ich dich noch etwas fragen?«
    »Warum solltest du das nicht dürfen?«
    »Vorhin, als du vor dich hingegrinst hast – hast du da an meine Schwester Deborah gedacht? Erfahren wir zu Rosch ha-Schanah endlich, wann du sie unter die Chuppa zu führen gedenkst, damit sie dich siebenmal umkreisen kann? Du weißt nicht, wie glücklich du uns damit machen würdest. Nicht nur Deborah, die den Boden küsst, über den du gehst, und nicht nur mich, der sich keinen besseren Schwager wünschen könnte. Sondern auch deine Mutter Miriam und deine Base Esther, denn es bedeutet doch, dass du ruheloser Geist deinen Hausstand bei uns in Windsor gründest und nicht mehr nach Sternen strebst, die unerreichbar bleiben. Adonais Wille ist es, dass wir uns jung verheiraten, Freund. Und es ist doch wirklich möglich, dass alles wieder besser wird, oder? Es war doch heute auf dem Markt nicht übel?«
    »Nein«, sagte Vyves. »Es war beileibe nicht übel.«
    »Vyves?«
    »Das ist mein Name.«
    »Du hast mir auf meine Frage keine Antwort gegeben.«
    Sie bogen in die Gasse ein, in der ihr Haus stand. Zu ebener Erde lag die Gastwirtschaft, die sie alle ernährte: Gideon, seine Frau Esther, seine Tochter Noya und seine Schwester Deborah, dazu Vyves und seine Mutter Miriam.
    Wie kann ich dir eine Antwort geben?, hätte Vyves gerne erwidert. Ich liege dir auf der Tasche. Soll ich noch so dreist sein, mir deine Schwester unter den Nagel zu reißen?
    Schweigend ging Vyves weiter. Er war ein Nichts, ein besitzloser Flüchtling, der mit seiner Mutter dreimal dem Tod entronnen und schließlich nach Windsor gekommen war, um im Haus der Base Unterschlupf zu suchen. Dass Gideon ihn so nicht betrachtete, wusste er. Und dennoch war Gideon nicht der Einzige, den zuweilen der Stolz schmerzte, auch wenn Vyves sich mehr Mühe gab, es zu verbergen.
    Gideon setzte zwei schnelle Schritte und vertrat ihm den Weg. »Bist du neuerdings taub? Oder schuldest du mir keine Antwort?«
    Vyves stand still. »Ich schulde dir mehr als das.«
    »Also quält dich noch immer dasselbe?« Hell lachte Gideon auf. »Merk dir, mein Guter: Ich will diesen Unfug nicht hören. Du bist mein Freund, du bist der Vetter meiner Liebsten, und du plagst dich für meine Wirtschaft, als wäre es deine eigene. Also hör auf, dich zu zieren. Für Deborahs Hand schuldest du mir nicht mehr, als du gibst.«
    Vielleicht nicht dir, dachte Vyves. Aber deiner Schwester. Hat die liebliche Deborah keinen Mann verdient, der sein Herz dafür gäbe, ihr ein Stück vom Himmel zu bereiten? Ich kann keine Frau lieben, hätte er Gideon sagen wollen, ich habe nicht den Schneid dazu.
    Gideon räusperte sich. »Hör zu«, begann er. »Ich weiß, du hältst dich für einen Feigling, weil du deinen Vater nicht retten und deine Mutter nicht vor der Vertreibung schützen konntest. Ich weiß auch, dass du kein Held mit der Waffe bist – wie man von unserem ganzen Volk annimmt, dass es nicht mit Waffen umgehen kann und aus Feiglingen besteht. Aber ein Mann muss kein Held sein und kann dennoch seine Vorzüge haben,

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