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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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und um meine Schwester zu schützen, bin ich da. Glaube nur ja nicht, ich ließe zu, dass jemand die Meinen aus ihrem Heim vertreibt. Wer das tun will, Vyves, der müsste zuvor mich töten …«
    Hochaufgerichtet stand der junge Mann vor ihm und atmete schwer. Eine rührende Rede, fand Vyves. Wenn er doch nur weiter schweigen dürfte und dieses Juwel von einem Freund nicht enttäuschte!
    Tatsächlich fand sein Flehen Erhörung. Noch bevor der Freund auf eine Antwort beharren konnte, flog in dem schmalbrüstigen Haus am Ende der Gasse die Tür auf. Mit gerafften Röcken lief ihnen ein Mädchen entgegen.
    Deborah bat Oved. Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Die Rundung der Hüften wie ein Halsgeschmeide von des Meisters Hand, die Brüste Zwillinge von Gazellen, der Hals ein Turm von Elfenbein und das Haar auf deinem Haupt wie Purpur.
    Vyves holte Atem. Gideons Schwester Deborah war ohne Zweifel das schönste Mädchen von Windsor. Zwei Herzschläge später schlossen ihre Arme sich weich um seinen Hals.
    »Ihr zwei Goldstücke, seid ihr endlich zurück? Ist es gutgegangen, hat euch niemand das Leben schwergemacht?« Sie lachte, zeigte zwei Reihen perlblanker Zähne.
    Von deinen Lippen, meine Braut, träufelt Honigseim. Honig und Milch sind unter deiner Zunge. Was für ein vernagelter Idiot war er? Musste der Mann, dem diese Blume in Sharon, diese Lilie im Tal versprochen war, nicht der glücklichste des ganzen Landes sein?
    Gideon hatte seine Kiepe abgeschnallt und schnürte sie auf, um seiner Schwester die Herrlichkeiten für die ehrfurchtsvollen Tage vorzuführen. Vyves dagegen stand starr, als würde er gepeinigt, nicht liebkost.
    Deborah gab ihn frei, sah ihm aber prüfend in die Augen. »Hat es dir die Petersilie verhagelt?«
    Hastig schüttelte er den Kopf. »Ich bin nur müde und ein Griesgram. Nimm mich nicht ernst.«
    »Das tue ich bei einem Mann grundsätzlich nicht«, erwiderte Deborah. »Nur schienst du mir bisher der Vernünftigste deines Geschlechts zu sein.« Damit schwang sie herum und ging ihnen voran zum Haus zurück.
    »Bei diesem Mädchen kannst du nichts falsch machen«, zischte Gideon ihm zu. »Du hast bei ihr so viele Steine im Brett, dass es zu einem Damespiel reicht.«
    Vyves hob Gideons Kiepe auf und folgte Deborah. »Ich weiß.«
    In der Gaststube saßen nur noch drei Stammkunden über dem letzten Wein in ihren Bechern. Die Frauen der Familie ließen sich von ihnen nicht stören, sondern breiteten den Inhalt der Kiepen auf einem der Tische aus. Esther trug ihr Töchterchen Noya auf den Armen, hielt es über der Wölbung ihres Leibes, in dem ihr ersehntes zweites Kind wuchs. Wie so oft berührte es Vyves, das winzige Gesicht neben dem großen zu sehen, die Hand des Kindes in Esthers Haar, den kleinen Körper vertrauensvoll an den der Mutter geschmiegt. Machte es nicht alles wett, solch ein Geschöpf sein Eigen zu nennen? Wenn er sich endlich besann und Deborah unter die Chuppa führte, könnte er im nächsten Jahr zu Rosch ha-Schanah selbst eine Tochter oder einen Sohn haben. Er gab dem Kind einen der roten Granatäpfel, den es jauchzend mit beiden Händen packte.
    Yves’ Mutter Miriam, eine kleine, von der Last der Erinnerung gebeugte Frau, zog ein Säckchen mit Gewürz aus der Kiepe und roch daran. Ihr Gesicht hellte sich auf, und mit beschämender Dankbarkeit sah sie ihn an. »Das ist ganz köstlicher Muskat, mein Lieber. Ihr habt Wunder vollbracht.«
    Ich sollte ihr etwas Handfestes zum Freuen geben, dachte Vyves. Ein Enkelkind. Eine Schwiegertochter. Die Gewissheit, dass ihre Familie fortbesteht. Sein Blick wanderte zu Deborah, die das Geld der Zecher, die im Aufbruch waren, entgegennahm. Er könnte es jetzt tun, sie vor aller Augen bitten, seine Frau zu werden, und später am Grab ihrer Eltern sein Versprechen leisten. Was hinderte ihn daran? Sooft er sich die Frage stellte, war ihm zumute, als spüre er Wind im Gesicht, der auf dem Hügel schärfer wehte als im Tal und bis in den geschützten Hof hinter den Mauern drang. Etwas hinderte ihn in der Tat: ein Albtraumbild von einer Braut im blutverschmierten Kleid.
    In der Stube, in der drei Frauen für Wärme und Behaglichkeit sorgten, war es auf einmal kalt.
    Die scharfäugige Deborah hatte sein Schaudern bemerkt. »Ich denke, wir sollten einen Becher Wein trinken, ehe wir zum Friedhof gehen«, sagte sie und stellte den Krug auf den Tisch. »Die Männer sind ausgetrocknet vom Markt, und wir hatten einen

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