Kairos (German Edition)
Flasche Cognac“, sagte Alain zu Doria, ohne sie dabei anzublicken.
Doria reagierte nicht.
„Ich meine die Wette“, beharrte Alain.
Doria sah ihn an. „Was?“
Alain musterte zuerst sie, dann lange dies Gesicht im Licht. „Nicht wichtig“, sagte er und holte Luft. „Das also sind sie.“
Im Namen Gottes, das sind SIE!
Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er, und viele mit ihm, hatten es schon vor Deimos fest geglaubt. UFOs am Himmel, imNetz, in Büchern und Filmen hatten mit der Zeit aus Glauben Wissen gemacht. Für die Szene war die UFO-Causa schon vor dem ersten Prozeßtag geklärt – es gab SIE einfach, unvorstellbar, daß es anders sein könnte. Und jetzt, in diesem Augenblick, war es, jedenfalls allegorisch, für alle soweit: Keine Fiktion, kein Abstraktum mehr, sondern der Beweis. Hier und jetzt, angesichts dieser schlafenden Frau, wurde endlich und entgegen der Schriften aller tendenziösen Erzskeptiker die Existenz Außerirdischer sinnlich und empirisch faßbar.
Und hier also waren SIE. Und SIE hatten eine Frau entsandt. Sie sah aus wie eine Frau von der Erde; und ebenso völlig anders. Nichts an ihr war falsch, zugleich nichts an ihr richtig schien. Ihre Haut, weiß wie Milch, ihr großer Schädel haarlos, die Kieferpartie schmal. Ihre Backenknochen saßen hoch, die Lippen waren dünn. Sie lag unter einer Folie aus Licht, die nur ihr Gesicht freiließ und funkelte, als bestünde sie aus poliertem Edelstahl. Ihre Augen waren geschlossen.
Doria Patrick starrte sie an und spürte einen Schweißtropfen am Rücken.
Das ist doch nicht möglich.
Sie erschauderte. „Ob sie überhaupt noch lebt?“ Sie sah auf die restlos grünen Prüflichter an ihrem Unterarmdisplay. Ein Grinsen. „Ich wußte es. Die Temperatur steigt.“
Alain senkte seinen Blick wieder auf die Außerirdische. „Und um wieviel?“
„Wir haben jetzt einundzwanzig Grad Celsius.“
Alain hob eine Braue.
„Und achtundsiebzig Prozent Stickstoff; Sauerstoff einundzwanzig. Keine Abgase oder Mikroben. Definitiv atembare Luft.“ Sie griff an den Helm, um die Verschlüsse zu öffnen.
„Stop.“ Bals streckte die Hand aus. „Warten Sie.“
„Er hat recht“, sagte Alain. „Was ist mit biologischer Kontamination?“
„Ich sagte, keine Mikroben.“
„Und was, falls...“ Er deutete auf die Schlafende. „... wir
ihr
etwas anhängen?“
Das ließ Doria zögern. Aber nur kurz. Sie war die abgestandene Luft aus den Anzugtanks leid. „Sir, ich bin absolut sicher, die Fremden haben uns nicht zu diesem Ort geführt und uns Atemluft beschert, um dann ihre Abgesandte an einer Infektion krepieren zu lassen.“
Bals dachte nach. Vieles ging ihm durch den Sinn. Dorias Argument war denkbar einfach und darum stichhaltig, logisch. Also ließ er sie, widerwillig, doch eigentlich überzeugt, gewähren.
Doria verlor keine Zeit. Ein Zischen; sie nahm den Helm ab, klemmte ihn unter den Arm, sog die Luft ein, ließ sie in den Lungen und stieß sie langsam wieder aus. Man beobachtete sie wachsam. Als Doria daumenreckend verkündete: „Eindeutig atembare Luft. Sie könnte besser gar nicht sein“, waren alle erleichtert.
In der Folge entledigten sich alle ihrer Helme. Alain half Eiko, Bals half Alain.
Dorias Kommentar über die Luftqualität war nur ein Spruch. Die Luft roch seltsam modrig, eine Mischung aus Staub und leichtem Metallgeschmack. Jetzt stand Doria über die Fremde gebeugt, deren Brustkorb sich im Rhythmus ihrer Atmung hob und senkte. „Sie lebt.“
Alain gefiel dies alles nicht. Doria handelte zu schnell. Bals’ Befehle waren zu lax. Alain fühlte mehr als nur Ehrfurcht. Er fürchtete, in das notorische Schema eines mit der Situation überforderten menschlichen Wesens zu verfallen. Wie leicht könnte man Irrtümer begehen. Er sagte: „Captain, passen Sie auf bei dem, was immer Sie tun.“
„Was denken Sie, das ich vorhabe?“
„Überstrapazieren Sie ihr Glück nicht“, sagte Bals.
„Ich paß schon auf.“ Doria blies sich einen Schweißtropfen von der Nase, zog ihre Handschuhe aus und berührte mit den Fingerspitzen die Wangen der Schlafenden. „Zeit, aufzuwachen.“
Die Kugeln über ihren Köpfen wuchsen auf ihre dreifache Größe. Sie drehten sich schneller. Die Bögen liefen komplexere Formen.
Doria sah erschrocken, doch auch fragend auf.
„Sie hätten sie nicht anfassen dürfen“, sagte Alain.
„Weg da“, entschied Bals.
Sie gehorchte.
Die Kugeln schwebten auf die Fremde zu, schossen feine
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