Kairos (German Edition)
mehr durch die Mühlen treiben kann. Seit Kurzem verfolgen sie das Ziel, allen Tieren in Gefangenschaft die Freiheit zu schenken, sie aus Zoos, Wildparks und Zirkussen zu befreien. Das stellt eine bedeutende Gefahr für uns alle dar, wie ich meine...“
Das war interessant. William hörte aufmerksam zu. DIE ELFEN ... Gewaltbereite Naturschützer mit Batikshirts und einem Anti-Atom-Zeichen um den Hals. Neo-Hippies, denen es in ihren Nobelvororten zu langweilig geworden war und die jetzt auf diesemWeg für Spaß und vor allem Substanz in ihrem Leben sorgten. Ihre Schlagworte ›Schluß mit der tyrannischen Herrschaft des Menschen! Freiheit und Gleichheit für alle Geschöpfe Gottes!‹ oder ›Vor der neuen Ordnung kommt die Revolution!‹ waren freilich überzogen. William konnte sich einer Abneigung für diese Chaoten nicht erwehren. Er war der geborene Opportunist, ausgestattet mit einem starken Mittelschichtsgeist. Er lehnte es ab, des Nachts in Zoos oder Labors einzusteigen. Auch wenn es darum ging, arme Kreaturen zu befreien. William verbuchte es unter ›Sturm und Drang im Eifer der Jugend‹, entschied aber sogleich, daß es Wichtigeres gab, worüber er sich den Kopf zerbrechen konnte, allgemein und jetzt erst recht.
William schaltete das Holo-TV ab, als er draußen Jack bellen hörte. Er hievte sich aus dem Sessel und trat an die bleigefaßten Fenster. Die Sonne ging gerade unter. Zerrissene Wolkenbänke glühten in allen möglichen Rottönen. Vögel saßen Lieder trillernd in den Bäumen. William blickte über den Rasen, zu den Eiben und Ahornbäumen jenseits der Beete und Hecken, roch die Azaleen und Hyazinthen und den kräftigen, ursprünglichen Geruch der vom Regen matschigen Scholle.
Aus der Küche drang der Lärm klirrenden Geschirrs sowie geöffneter und geschlossener Schränke. Nicht lange und köstliche Düfte waberten ins Wohnzimmer wie Sommeraroma zu den Fenstern. „Wo ist Josh?“, rief er ohne den Blick von der Landschaft zu nehmen.
„Draußen, im Feld“, kam Martas Antwort. „Mit Jack.“
Er stellte sich vor, wie sie miteinander spielten, gemeinsam die Welt erkundeten: Joshua, mit der für Kinder untypischen Ernsthaftigkeit – und der tolpatschige, sorglos tollende Jack. William dachte oft an die seelischen Verletzungen seines Enkels. Zugleich er sie niemals richtig zu fassen bekam, war der Schmerz in Joshuas Augen manchmal unübersehbar. Der Junge hatte seine Eltern verloren. Nur Jack war ihm von seinem alten Leben geblieben. Seltsamerweise aber hatte sich Will niemals Sorgen um Josh gemacht. Irgendwie wußte er, daß es dem Jungen nicht noch einmal derart schlecht ergehen würde. Joshua traf instinktiv die richtigen Entscheidungen. Er war zäh und aufgeweckt. Seine Fähigkeiten würden ihn seine Ziele erreichen lassen. Ob er jemals wieder ein spielendes, lachendes Kind sein würde, stand allerdings in den Sternen.
Jack bellte erneut. Dann hörte Will den Jungen rufen.
„Gut“, sagte William leise. Er lehnte mit der Stirn an der Scheibe, drückte dabei die leere Bierflasche. Düstere Nachdenklichkeit überkam ihn, er konnte nichts dagegen tun.
14
Sehr geehrter Mister Homme,
nach Sichtung Ihrer Unterlagen, freuen wir uns, Ihnen mitzueilen, daß...
Wenn es nicht so ernst wäre, hätte er gelacht.
Soviel, Nazma
, dachte Corey,
zu den Träumen...
Er fühlte sich unwohl dabei, Nazmas zu spotten. Aber aufgrund ihres ständigen Mäkelns an seinem Wunsch – der Absicht –, Pilot zu werden, empfand er in diesem Moment, im Grunde seines Herzens, mehr als Genugtuung über seine Einladung zu einem der Sichtungslehrgänge der Luftwaffenakademie.
Schon in drei Tagen. Corey war begeistert. Er fühlte sich beim Gang durch Edinburgh wie seinerzeit Alexander bei seinem Marsch durch Thrakien, und war geradezu versessen darauf, es Nazma zu sagen, um danach ihr verdutztes Gesicht zu sehen. Er wollte einfach dabeisein, wenn ihr die Züge entgleisten. Ex-Freundin oder nicht, sie mußte es wissen. Er wollte es.
Die Straßen waren trotz des Regens voller Hauptstädter, Pendler und Touristen. Corey durchschritt gerade die George Street mit ihren klassizistischen Fassaden, vorbei an Boutiquen, Schnellrestaurants und der exorbitanten Leuchtreklame eines Elektronikdiscounters. Überall an den Straßenecken oder in den Häusereingängen kauerten Bettler. Ein Rucksacktourist spielte unter dem Vordach einer Lotteriebude Gitarre, seinen umgedrehten Hut vor sich, und ein Straßenmaler zeichnete mit
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