Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
schlechte Laune zu haben. Neben dem nicht ganz ordentlich gebackenen Brot gehörte dazu die Tatsache, dass er nun schon einige Zeit im Hause des Engus zubrachte, und die lange Untätigkeit sowie die nervenzermürbende Art der Gespräche zehrten an seiner Kraft. Sicher, man behandelte ihn mit Höflichkeit und Respekt, viel mehr Respekt, als man einem Mann seines noch nicht sonderlich fortgeschrittenen Alters gemeinhin entgegenbrachte. Er hatte eine ordentliche Unterkunft und es mangelte ihm an nichts – an nichts außer einem messbaren Fortschritt seiner Mission.
Engus war ein kluger Mann. Besonnen, sagten seine Gefolgsleute, immer überlegend. Godegisel wollte dem gar nicht widersprechen, es gab aber Situationen, in denen neigte er dazu, anstatt Besonnenheit eher Zögerlichkeit und eine fehlende Bereitschaft zum Treffen von Entscheidungen wahrzunehmen. Engus sagte nicht Ja und nicht Nein. Er hörte sich die Meinungen aller Ältesten und gotischen Adligen an, ließ jeden ausreden, und er war gut darin, konträre Standpunkte nicht in einen offenen Schlagabtausch degenerieren zu lassen. Wenn es hoch herging, wirkte er beruhigend, wie ein Fels in der Brandung. Alle nahmen ihn ernst, aber das wohl vor allem deswegen, weil er sich niemals festlegte und jedem die Hoffnung blieb, er würde sich für seinen Standpunkt entscheiden. So erhielt er das informelle Netz der gegenseitigen Loyalitäten und Abhängigkeiten am Leben, so sicherte er bestimmt auch seine inoffizielle Position als Anführer der Goten.
Aber es führte zu nichts. Godegisel wurde ungeduldig. Er redete sich den Mund trocken, wiederholte Argumente zigmal. Und immer wieder konsultierte Engus seine Gefolgsleute, die jedes Wort dreimal umdrehten und absurdeste Fragen stellten, von denen jeder wissen musste, dass Godegisel sie nicht beantworten konnte. Es war so furchtbar ermüdend in seiner Vorhersehbarkeit und so ernüchternd aufgrund des vollständigen Mangels einer Vision bei den meisten Gesprächspartnern, Engus inbegriffen.
Es war, als hätte der Sieg der Römer bei Thessaloniki und die anschließende überraschend vorteilhafte und gnadenvolle Friedensregelung bei den Goten Lethargie und Selbstzufriedenheit ausgelöst. Vielleicht war das ja auch die Absicht der Römer gewesen, dachte Godegisel. Letztlich war es ja darum gegangen, die Gotengefahr zu bannen und aus ihnen fleißige und gehorsame Siedler und römische Bürger zu machen. So betrachtet schien der Plan Gratians – und dahinterstehend der Plan Rheinbergs – aufgegangen zu sein.
Das half Godegisel jetzt allerdings ganz und gar nicht.
Er setzte sich auf den allzu vertrauten Sessel, der mittlerweile so etwas wie sein Stammplatz geworden war. Wie immer sorgte man für sein leibliches Wohl. Es war nicht so, dass ihm grundsätzlich Ablehnung und Misstrauen entgegenschlug, es handelte sich eher um ein ständiges Nachgeben und Zurückrudern, eine endemische Unentschlossenheit, die eine zunehmend lähmende Wirkung auf alle Beteiligten zu haben schien.
Und Engus, der von allen als Anführer angesehen wurde, tat genau das nicht, was Godegisel von jemandem in dieser Stellung, ob offiziell ernannt oder nicht, erwartete: führen.
Wahrscheinlich wartete Rheinberg bereits in Thessaloniki auf ihn. Und auch Godegisel drängte alles fort von hier.
Diesmal waren sie in kleiner Runde versammelt. Neben Engus waren nur einige seiner engsten Vertrauten zugegen. Godegisel hatte rasch bemerkt, dass die Männer keine echte Funktion hatten. Sie waren eher wie Wände, denen Engus Worte zuwarf und die diese dann reflektierten. Engus nahm diese Reflexion dann auf, formulierte sie um und warf wieder, und so entstand die Illusion eines Gespräches, während doch die ganze Zeit nur die Worte von Engus hin und her wanderten, ohne dass sie dabei an Substanz gewannen. Diese Leute konnten sich ewig damit aufhalten, es war eine wunderbare Taktik, um einen Entscheidungsprozess vorzutäuschen, ohne dass sich darin tatsächlich eine Entwicklung abzeichnete. Dahinter musste eine Absicht stecken. Wollte man den Gesandten Rheinbergs mürbe machen? Ging es darum, seine Standhaftigkeit und Ausdauer zu prüfen? Oder war es Ausdruck von Ratlosigkeit und Unentschlossenheit, dem Schwanken zwischen dem Bedürfnis, Rheinberg nicht zu düpieren, sich aber andererseits auch nicht auf eine Art und Weise festzulegen, die sich anschließend als fatal erweisen konnte? Godegisel verstand es nicht. Und es war ihm auch ziemlich egal, ob hier jemand
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