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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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hätte die gesamte Führungsspitze des britischen Secret Service über das Wochenende fluchtartig die Hauptstadt des Empires verlassen und sich für zwei Tage auf abgelegene Landsitze zurückgezogen. Doch es war sowieso unwahrscheinlich, dass sich die Regierung seiner britannischen Majestät durch die unglaubhaften und durch nichts belegten Warnungen einer einzelnen Agentin würde beeinflussen lassen. Wie man es auch drehte und wendete, es gab keine Alternative. Das Attentat musste verhindert werden.
    Prieß nahm den Zettel auf, der vor ihm auf dem Tisch lag. Das Blatt enthielt stichwortartig zusammengefasst die wichtigsten biographischen Daten Professor Ernst Beinfeldts. Der Detektiv wusste selber nicht recht, wieso, doch er hatte mehr über den Physiker in Erfahrung bringen wollen und darum Senator Frahm um eine kurze Zusammenstellung gebeten. Viel klüger war er dadurch nicht geworden, aber nun konnte er sich wenigstens sicher sein, dass der Professor nicht zu den Puppenspielern zählte. Der Gelehrte war Schüler und Assistent Albert Einsteins gewesen, des ersten Leiters des Kaiser-Wilhelm-Instituts, und hatte dessen entschiedene pazifistische Standpunkte geteilt. Auch wenn sie zu Beginn der fünfziger Jahre aus unbekannten Gründen im Streit auseinandergegangen waren, hatte Beinfeldt doch auch in der Folgezeit nie einen Hehl aus seinen Ansichten gemacht. Allerdings war er in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten nur noch selten öffentlich aufgetreten und hatte sich kaum noch politisch geäußert, vermutlich weil er ganz in seiner wissenschaftlichen Arbeit aufging. Fest stand aber, dass Beinfeldt kein Mensch nach dem Geschmack der Puppenspieler war. Nun verstand Prieß auch, wieso der Professor nicht bei dem Treffen im Gutshaus anwesend war und weshalb Maximilian Sonnenbühl so abschätzig von ihm gesprochen hatte. Friedrich fand es ironisch, dass der große Physiker umgeben war von Leuten, die in so absolutem Gegensatz zu seinen Überzeugungen standen, und es nicht einmal wusste. Und ob der ein wenig weltfremde, pazifistische Professor wohl jemals darüber nachgedacht hatte, dass die von ihm konstruierte Atombombe eine furchtbare Waffe war, nicht nur ein faszinierendes Experiment auf Staatskosten?
    Alexandra betrat das Lesezimmer und riss Prieß aus seinen Gedanken, indem sie die Abendausgabe des Lübecker General-Anzeigers vor ihm auf den Tisch legte.
    »Ist eben gekommen«, sagte sie. »Aber auf solche Nachrichten hätte ich auch gut verzichten können.«
    Friedrich warf einen Blick auf die Titelseite und verstand, was sie meinte. Neben der angekündigten Teilmobilmachung und den Drohungen, die zwischen den Hauptstädten Europas in immer kürzeren Abständen hin und her flogen, nahmen die jüngsten Ausschreitungen gegen Dänen in Schleswig-Holstein den meisten Raum ein. Nach der Meldung von dem Überfall auf den Atombombentransport war nördlich der Eider buchstäblich ein Orkan der Gewalt losgebrochen, viel heftiger noch als nach dem Massaker von Kronsforde. Es hatte Tote und Dutzende von Schwerverletzten gegeben. Ganze Kompanien von Marinesoldaten waren über Dänen hergefallen, um den Tod ihrer Kameraden zu rächen, und ihre Vorgesetzten hatten sich viel Zeit dabei gelassen, die Disziplin wiederherzustellen. Häuser waren verwüstet worden, und ihre Bewohner konnten sich glücklich schätzen, wenn man sie nur zusammengeschlagen hatte.
    In Gottorp war die dänische Schule in Flammen aufgegangen, und in Nordschleswig, wo Dänen die Mehrheit der Bevölkerung stellten, war es zu bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten gekommen. Ungreifbar, doch allgegenwärtig schien bei allen diesen Berichten die Phrase vom gerechten Volkszorn mitzuklingen. Und die Lübecker Tageszeitung stand mit dieser Haltung wohl kaum alleine.
    »Ich lese mir das gar nicht erst durch«, knurrte Prieß und schob die Zeitung von sich. »Ich hab schon genug, was mir Kopfschmerzen macht, mehr brauche ich wirklich nicht.«
    Er sah auf und blickte Alexandra an. Und plötzlich war es wieder da, dieses Gefühl, das er in den letzten Tagen in eine der hintersten Ecken seines Inneren zurückgedrängt hatte. Diese verstörende Mischung von Empfindungen, die ihn völlig unerwartet durchströmte; verblasste und gestaltlose Erinnerungen an Freude, die nur noch ein schales Echo waren; Schmerz, der nicht altern wollte. Es packte ihn ohne Vorwarnung aus dem Nichts.
    »Und das ist noch harmlos im Vergleich zu dem, was uns bevorsteht, wenn wir morgen den

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