Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
Schweigen versilbern ließen. Man konnte sich Terrence Dobbs alias Alex Goodman gut in dieser Rolle vorstellen. Es war auch verständlich, dass ein Anwalt, der seine Zulassung verloren hatte und vielleicht hoffte, in einem anderen Bundesstaat wieder praktizieren zu können, für eine solche zeitweilige Beschäftigung seinen Namen änderte. Jack lag nicht wach, weil er Blade nicht glaubte. Ihm machte viel mehr Sorgen, dass all seine Informationen über Alex Goodman von Charlie Blade stammten.
Der in Ungnade gefallene Schwertschlucker war doch sicher nicht der Einzige im Winterquartier, der über Alex Goodmansanderes Leben in Tampa Bescheid wusste. Die Freaks und Artisten, mit denen Jack Tag für Tag zusammenarbeitete, mussten doch Terrence Dobbs’ Geschichte kennen, denn, wie Cassandra sagte, gab es in Kaleidoscope keine Geheimnisse.
»Außer meinem«, dachte Jack laut und verdrängte seine Schuldgefühle.
Offensichtlich hatten Luna und die anderen beschlossen, ihm Alex Goodmans wahre Identität und Absichten zu verheimlichen. Aber warum? War es nur ihr allgemeines Misstrauen Außenseitern gegenüber, weshalb Luna und ihre Kumpane so ungern über Goodman sprachen? Wollten sie seine wahre Identität geheim halten? Das war ein guter Grund und Jack hätte ihn auch akzeptiert, wenn ihn da nicht zwei Punkte gestört hätten …
Erstens verfügte diese Gemeinde über ein Einkommen, das nichts mit Süßigkeiten und Striptease zu tun hatte. Zweitens hatte Alex Goodman etwas mit Sally Price und Bladehorns gestohlenem Geld zu tun.
Natürlich war es möglich, dass die Schausteller nur aus Loyalität Goodman gegenüber Stillschweigen bewahrten, aber gab es auch weniger noble Beweggründe? Jack war fest überzeugt, dass es da irgendetwas gab, das sie ihm als einfachem Arbeiter nicht auf die Nase binden würden.
Aber begegneten sie allen Außenseitern, die nach Kaleidoscope kamen, mit so viel Misstrauen oder ihm ganz besonders? Jack schwang sich aus seiner Koje und nahm sich eine Zigarette. »Dreh jetzt bloß nicht durch«, murmelte er zu sich selbst.
Schließlich war es nur natürlich, dass die Freaks nicht gleich jedem Fremden ihr Herz ausschütteten. Aber eigentlich war Jack, seit er Marcel und Jacques gerettet hatte, vollkommen in diese bunte Gesellschaft integriert. Alle, von der Bärtigen Dame bis zum Alligatormann, grüßten ihn freundlich. Seit einer Woche musste er nicht mehr für seinen Kaffee bezahlen. Und dann war da noch Luna.
Er konnte immer noch ihre Haut spüren, ihr Haar im kalten Quellwasser riechen. Ihre Beine um seine Taille. Sie hatten sichwie zwei geile Otter gepaart! Und dann aneinander gewärmt. Das allein war doch schon Grund genug anzunehmen, dass Jack es geschafft hatte, … dass er Lunas und Tommys Vertrauen gewonnen hatte … und das der anderen auch, oder?
Hatte er nicht sogar Feuer geschluckt? Er war jetzt einer von ihnen. Jack hatte nicht damit gerechnet, so bald in die launenhafte Familie der Freaks aufgenommen zu werden, und noch dazu mit so viel Wärme. Und Jack war auch überrascht, wie sehr sich seine Wahrnehmung verändert hatte. Erst gestern hatte er mit Friederich zusammengestanden und über die Schubkarre mit seinem vollkommen entblößten Hodensack hinweg ein Schwätzchen gehalten, ohne Ekel oder Faszination zu verspüren. Es machte ihm Spaß, mit Charlotte und Jo Jo, Jacques und Marcel Karten zu spielen. Und als er und Luna sich liebten, dachte er nicht einen Augenblick an ihre Hautfarbe. Aber da er eine Lüge lebte, hatte Jack bei den freundlichen Begrüßungen und den Scherzen im Café ein mulmiges Gefühl, so als hätte er Schulden gemacht oder als würde er an einem Tisch voller Kinder beim Kartenspiel betrügen. Gerade in solchen Momenten wurde Jack daran erinnert, dass er diese Menschen immer noch betrog, sie alle, und dass das Vertrauen, das Luna und Tommy und all die anderen Freaks ihrem neuen Arbeiter entgegenbrachten, nichts mit seiner Loyalität ihnen gegenüber zu tun hatte, sondern nur auf seinen Lügen beruhte.
Jack drückte sich die Hände an die Schläfen. Es war nicht leicht, sich noch an die Wahrheit zu erinnern, wenn man sich so lange selbst belogen hatte. Aber was zum Teufel konnte er jetzt noch daran ändern? Er wollte ein sauberes Spiel spielen, aber er hatte doch keine Wahl! Er konnte Luna nicht gestehen, warum er hier war oder wer ihn geschickt hatte oder wonach er wirklich suchte. Was würde sie mit ihm machen, wenn sie es wüsste? Was würde mit seiner
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