Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
keine Erklärung für das, was geschehen war. Auch auf die übliche Frage nach Feinden oder geschäftlichen Konkurrenten hatte er keine Antwort.
Seine Frau brachte Tee, der köstlich schmeckte. Sie trug ein Kopftuch und setzte sich zu uns. Ihr Sohn, der Mann der Verschwundenen, war geschäftlich unterwegs wie die anderen drei Söhne auch.
»Die Ehe von Murat und Hülya war«, er machte eine Pause, »sicher von gegenseitigem Respekt geprägt, aber sie war nicht glücklich, nicht nur wegen der ausbleibenden Kinder.« Wieder machte er eine Pause. »Nicht jeder findet das Glück, wenn man versprochen wird.«
Er sah seine Frau an, die seinen Blick mit einem Lächeln erwiderte, das jeden Zweifel beseitigte, dass er die Wahrheit sagte.
»Vielleicht wäre eine Scheidung sinnvoll gewesen, aber mein Sohn ist da viel strenger als ich, auch das soll es ja geben.« Er lächelte fast entschuldigend.
Ich hatte nicht den Eindruck, hier den Schlüssel für das Rätsel zu finden, trank den Rest des wunderbaren Tees und ging.
Es hatte angefangen zu regnen, ein warmer sanfter Septemberregen. Auf dem nassen Pflaster der Werdohler Straße spiegelten sich die bunten Häuserfassaden.
Hülya Özcan war neunundzwanzig Jahre alt, hatte in einer kleinen Hautklinik als Krankenschwester gearbeitet und eine wenig glückliche, kinderlose Ehe in einem größeren Familienverband geführt. Warum tat jemand einer solchen Frau etwas an, verschleppte sie und tötete sie offenbar?
Am Versestausee sah ich mir den Ort an, wo man sie möglicherweise hatte verschwinden lassen. Es war eine Stelle, an der man auf einer Wiese bis ans Ufer fahren konnte. Keine schlechte Wahl für einen solchen Zweck.
Wieder zurück in Lüdenscheid fuhr ich zum Zeitungsarchiv. Nach zwei Stunden hatte ich die Westfälische Rundschau und die Lüdenscheider Nachrichten durchforstet, aber nichts Spektakuläres gefunden. In den Tagen vor dem Zuckerfest hatte es um den Kluser Platz verstärkt Autoaufbrüche gegeben, vier Tage danach hatte man aus dem Stausee die Leiche eines Dreiunddreißigjährigen gezogen. Er hatte keine Verletzungen, aber reichlich Alkohol im Blut und man ging deshalb von einem Unglücksfall aus. Ich verließ die Lokalredaktion und ging über den Sternplatz zurück ins Büro. Ein paar Jugendliche machten Faxen mit Onkel Willi und Felix und fotografierten sich dabei mit ihren Handys.
Hatte man Hülya tatsächlich mit ein paar gewichtigen Argumenten in den Stausee geworfen, würde sie nicht wieder auftauchen. Aber wer sollte das getan haben? Als sie verschwand, hatte ihr Mann mit den anderen in der Moschee gebetet. Hatte er vielleicht irgendwen beauftragt? Hatte sie jemanden hereingelassen, der sie verletzt hatte? Und wer war die Frau gewesen, die Hasan, der Einbrecher, gehört hatte?
Am nächsten Morgen fuhr ich zu ihrem Arbeitsplatz im Lüdenscheider Süden. Nach Aussage der Dame an der Rezeption der Hautklinik war Hülya beliebt gewesen. Eine Kollegin, mit der sie befreundet gewesen sei, habe aber erst in einer Stunde Pause.
Also rauchte ich und vertrat mir im kleinen Park der Klinik die Beine.
Ruth Wunderlich war klein, hatte mattes blondes Haar und wirkte ängstlich und müde. Wir suchten uns eine Bank und ich gab ihr Feuer. Sie war eine alleinerziehende Mutter und Hülya hatte ihr immer geholfen, wenn ein Dienst zu tauschen war.
»Auf mich wartet ja keiner zu Hause, hat sie immer gesagt.« Mehr äußerte sie nicht, sie war nicht unbedingt ein Kommunikationswunder. »Haben Sie mal irgendetwas mitbekommen, was mit ihrem Verschwinden zusammenhängen könnte?«, fragte ich sie. »Auch wenn es Ihnen noch so unbedeutend vorkommt.«
»Nein.« Es kam eine Spur zu schnell, aber vielleicht war ich auch ein wenig zu misstrauisch. »Und das hab ich doch schon alles der Polizei gesagt.«
Wenn sie sprach, sah sie mich kaum an, vielleicht hatte ich deshalb den Eindruck, dass sie doch etwas wusste.
»Sie sollten zwei Dinge nicht vergessen, Frau Wunderlich«, gab ich ihr mit auf den Weg. »Erstens: Ich frage Sie das alles, weil jemand im Gefängnis sitzt, dem man Hülyas Tod anlasten will und der behauptet, nichts damit zu tun zu haben. Und zweitens, dass mir jede Information, die mich weiterbringt, einen schnuckeligen Tausender wert ist.«
Diesen Rahmen hatte mir Mark eingeräumt. Sie nahm es scheinbar ungerührt zur Kenntnis und steckte meine Karte ein.
Ich fuhr wieder in die Stadt und hatte keine Idee, die mich begeistert hätte. Vielleicht halfen mir zwei,
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