Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
drei Saunagänge ein wenig auf die Sprünge. Bei hundert Grad war mir schon häufiger ein guter Gedanke gekommen.
Ich holte meine Sachen und fuhr zum Saunadorf am Nattenberg. Ein paar Aufgüsse später war mir immer noch keine Erleuchtung gekommen. Dafür fand ich beim Umziehen einen Anruf von Ruth Wunderlich auf meiner Handymailbox.
Sie sagte, sie habe vielleicht etwas, was mich interessieren könnte. Es war 16:25 Uhr, als ich sie zurückrief, und wir verabredeten uns in einer Stunde im Brauhaus Schillerbad.
Obwohl sie bunte Klamotten trug, wirkte sie genauso blass wie am Morgen. Ich bestellte zwei Bier und sie wollte als Erstes wissen, ob sie den Tausender gleich bekäme. Ich schlug vor, dass ich mir ihre Infos erst mal anhörte.
»Es sind zwei Dinge, die ich übrigens der Polizei nicht erzählt habe. Einmal geht es um einen Patienten, den wir vor ein paar Monaten hatten. Es war ein junger Mann aus Dortmund, der sich bei einem Arbeitsunfall heftig verbrannt hatte. Hülya hat ihn mehrere Wochen gepflegt. Das Besondere daran: Dieser Typ war ein Rechter, eine Glatze. Also er hatte keine Glatze, aber er hatte überall unter der Kleidung diese Tätowierungen mit Blut und Ehre und so. Ihm ging es echt schlecht und einige der Tattoos konnte man kaum noch entziffern wegen der Verbrennungen. Zum Beispiel Deutschland den Deutschen. Als der Chef den Mann gesehen hat, sagte er Hülya, sie brauche den nicht zu pflegen, das könne auch eine Kollegin machen. Aber sie hat sich weiter um ihn gekümmert.«
Als das Bier kam, nahm sie einen kräftigen Schluck.
»Und der könnte ihr was angetan haben?«
»Nein, nein«, sagte sie, »ganz anders. Am Anfang, als es ihm wieder besser ging, war er noch sehr abweisend, aber dann hat der sich in den wenigen Wochen, in denen er dort lag, total verändert. Der wirkte zuletzt sogar ziemlich durcheinander, in sich gekehrt und war zu allen ganz anders. Vor allem zu Hülya.«
»War ihm das peinlich, von einer Türkin gepflegt zu werden?«, fragte ich.
»Keine Ahnung«, sagte sie, »vielleicht hat er deswegen angefangen, über das eine oder andere nachzudenken. Einmal besuchten ihn ein paar seiner Kumpels, die Sprüche in ihre Richtung machten. Da hat er ziemlich heftig reagiert. War eine ganz eigenartige Situation. Hülya war auch nie abweisend zu ihm, trotz dieses ganzen Ekelzeugs, im Gegenteil.«
»Was heißt das?«
»Sie war immer zu allen nett, aber bei ihm war sie noch etwas anders, hatte ich den Eindruck.«
»Und was war die zweite Sache?«, fragte ich und trank meinen Rest Bier.
»Hülya hat eine Schwester, Hatice, mit der sie sich sehr gut versteht, die sie aber fast nur heimlich sehen kann, weil die so ganz frei lebt. Vor ein paar Wochen stand sie mal draußen, um zu telefonieren. Das muss ihre Schwester gewesen sein, mit der sie gesprochen hat. Jedenfalls höre ich, als ich rausgehe, um sie wegen eines Patienten was zu fragen, wie sie sagt: ›Am Zuckerfest passiert es. Alles Weitere über Facebook, ich brauche deine Hilfe.‹ Dann hat sie aufgelegt, als sie mich kommen sah, und sie wirkte irgendwie ertappt.«
»Es passiert am Zuckerfest?«, fragte ich nach.
»Ja, irgendwie so.«
Ich gab ihr erst mal fünf grüne Scheine und versprach ihr die anderen fünf, wenn bei der Sache etwas rauskommen sollte.
Sie ging, drehte sich aber noch einmal um und sagte: »Nicht, dass sie denken, ich tue es wegen des Geldes. Obwohl ich es gut gebrauchen kann.«
»Tu ich nicht«, antwortete ich. »Kein bisschen.«
Ruths Infos klangen fürs Erste nicht völlig wertlos. Mir fiel der Tote aus dem Stausee ein. Auch er war aus der Dortmunder Rechtenszene gewesen, weshalb die Polizei ein paar Tage ermittelt hatte, aber es hatte keine Hinweise auf ein Verbrechen gegeben. Man ging davon aus, dass er betrunken und darum ertrunken war. War das ein Zufall?
Ich fuhr nach Dortmund, aber unter der Adresse, die mir Ruth Wunderlich gegeben hatte, gab es keinen Hinweis auf den Mann, den Hülya gepflegt hatte. Ich musste mich also in der – sagen wir mal: national gesinnten Szene umhören. Im Internet gab es viel Schwachsinn in der Beziehung, aber keinen Hinweis, wo sich diese Szene in Dortmund traf. Erst der Anruf bei einem Dortmunder Kollegen brachte mir den Namen einer Kneipe.
Am nächsten Abend sah ich mir den Laden an. Von außen wirkte er so einladend wie eine Abdeckerei. Es trudelten Leute ein, von denen man nur manchen ansah, dass sie keine glühenden Anhänger einer demokratischen Staatsform
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