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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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unangenehmer, leicht bitterer Geruch aus. Kräuterlikör, Magenbitter, vielleicht auch Medizin.
    »Möchten Sie am Fenster sitzen?«, frage ich ihn höflich. Er sieht mich an, als habe ich in einer fremden Sprache gesprochen. Ich stehe auf und deute auf meinen Platz. »Mir wird manchmal übel, wenn ich beim Fahren nach draußen schaue«, füge ich erklärend hinzu.
    Mit einem erneuten Grunzen stemmt er sich hoch und rückt umständlich ans Fenster.
    In Wirklichkeit will ich mir nur nicht die freie Sicht auf meine Mitreisenden im Zug nehmen lassen.
    16:37 Uhr
    Wir fahren los. Außer dem grunzenden Rentner neben mir und der jungen Frau mit ihren Mädchen sehe ich noch zwei junge Burschen. Beide tragen ein Piercing, der eine in der Augenbraue, der andere an der Oberlippe. Jeder hat als Handgepäck ein Partyfässchen DAB dabei. Die wollen sich wohl amüsieren und machen, wie der Rest der Leute hier in der Hellweg-Bahn, nicht den Eindruck, mich für meine Altersmilde bestrafen zu wollen. Der mit dem Metall in der Augenbraue scheint im Gegensatz zu seinem Kumpel auch auf Halloween zu stehen. Er hat sich zwei Teufelshörner auf die Stirn geklebt.
    Ich hatte für heute einen klaren Auftrag erhalten. Ich sollte den Immobilienmakler Hubert Locker beseitigen. Der Grund spielte für mich keine Rolle. Locker hatte sein Büro in einem etwas schäbigen Siebzigerjahregebäude unweit des Dortmunder Hauptbahnhofs. Eine Gegend, in der man sich noch Sexfilmchen in Videokabinen ansehen kann und nebenan Bargeld für eigenen Familienschmuck und fremdes Zahngold bekommt.
    Nachmittags hielt sich Hubert Locker, laut meinem Auftraggeber, immer allein im Büro auf. Seine Halbtagssekretärin ging – logisch – immer schon mittags.
    Also eine ganz simple Sache für mich. Ich trug einen grauen Mantel, Hut und Schuhe, deren Spezialsohlen mich etliche Zentimeter größer wirken ließen. Zusätzlich täuschte ich bei Bedarf ein leichtes Hinken vor. Ein Detail, an das sich mögliche Zeugen immer gern erinnern.
    Das Maklerbüro Hubert Locker (RDM) befand sich im ersten Stock. Die Tür mit dem halbtransparenten Sicherheitsglas war verschlossen. Ich schellte und Sekunden später summte der automatische Türöffner.
    Ich trat in einen Flur mit abgewetztem Teppichboden. Zwei Türen zur linken, zwei zur rechten.
    »Hier!«, tönte es aus der letzten von links. Ich umfasste die Walther P 99 mit dem Schalldämpfer in der rechten Manteltasche.
    Hubert Locker sah so aus wie auf dem Foto, das ich erhalten hatte. Allerdings waren seine Augen blutunterlaufen und die Gesichtsfarbe unter den Bartstoppeln erinnerte an Joghurt. So schaut ein Mann aus, der eine gewisse selbstzerstörerische Neigung hat. Ich kenne diese Sorte.
    »Kommen Sie wegen dem Ladenlokal in Huckarde?«, fragte er mich und erhob sich halb vom Stuhl.
    Ich erfasste den Raum in einer Sekunde: Regale mit Aktenordnern, zwei Besucherstühle mit Lederpolster vor dem Schreibtisch, an der Wand ein gerahmter Druck von Monets Der Spaziergang – Frau mit Sonnenschirm . Ein schönes Motiv.
    Auf dem Schreibtisch summte deutlich hörbar der Lüfter des eingeschalteten Laptops. Der kleine Computer hatte wohl gerade eine Menge zu tun.
    »Ich war noch nie in Huckarde«, sagte ich und richtete den Lauf meiner Waffe auf ihn. »Ich komme deswegen.«
    Seine Augen wurden riesig. Die rechte Hand verharrte auf Brusthöhe und begann zu zittern. »Ich habe doch schon mit Rossberg gesprochen«, brachte er mit einem Kiekser über die Lippen.
    »Kenne ich nicht«, erwiderte ich wahrheitsgemäß und wollte gerade abdrücken, als eine helle Stimme hinter mir ertönte.
    »Papa?«
    Hubert Locker glotzte an mir vorbei und jetzt drohten ihm die Augen endgültig aus den Höhlen zu flutschen. »Bitte!«, ächzte er nur.
    Ich wandte mich halb um und verbarg die Waffe dabei unter dem Mantel.
    Ein etwa vierjähriger Blondschopf in einer Latzhose sah zu mir auf. Seine rechte Hand umklammerte eine grinsende gelbe Plüschfigur. SpongeBob Schwammkopf. Den kannte ich von meinen Enkeln.
    »Meine … meine Frau ist seit gestern im Kra… Krankenhaus.« Lockers Blick zuckte wie irre zwischen mir und seinem Sohn hin und her. Dann veränderten sich Blick und Haltung und sein ganzer Körper straffte sich. Ich wusste sofort, was er vorhatte. Ihm war es egal, dass ich ihn mit einer Kugel stoppen würde, ehe er auch nur auf Armlänge an mich herankam. Es ging hier nicht mehr nur um ihn, sondern auch um seinen Sohn. Was auch immer Hubert Locker

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