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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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kleinen Hände. Der Junge knabbert zufrieden.
    Die Nordafrikaner stecken die Köpfe zusammen und deuten kichernd auf den Zombie mit der Baseballkappe. Der wirft ihnen und mir unentwegt verstohlene Blicke zu, während das Ballonseidenpärchen über Fußball streitet. Er ist Borussen-Fan und sie hält unverständlicherweise zum VfL Bochum. Der Herzpatient neben mir atmet wieder halbwegs normal. Seine Finger betasten den blau-gelben Stoff der Sitze vor uns, als käme er zum ersten Mal mit solch einem Material in Berührung.
    Ich bin fast sicher, dass es einer meiner Mitfahrer auf mich abgesehen hat. Mich aus dem Verkehr ziehen soll. Als umgehende Reaktion auf meine Milde gegenüber dem Makler Hubert Locker. Ich weiß aus Erfahrung, dass mich die Auftraggeber überwachen. Sie wissen also sicher schon Bescheid. Außerdem habe ich keinen Vollzug gemeldet.
    Wie zur Bestätigung meiner Überlegungen summt das Handy in der Innentasche meiner Jacke, als wir in die schön restaurierte Station des Unnaer Bahnhofs einfahren.
    17:02 Uhr
    Die Nummer des Anrufers ist unterdrückt. Klar!
    Ich nehme den Anruf an.
    »Und?«, höre ich eine männliche Stimme fragen. Sie kommt mir nicht bekannt vor. Auch das ist normal. Ich antworte nicht. Der Anrufer sagt nichts. Ich beobachte, wie die Mutter mit ihren beiden Töchtern – eine heißt Alina, erinnere ich mich – den Zug verlässt. Ihr Pullover verrutscht, als sie sich nach einer Plastiktüte bückt und gibt den Blick auf ein Arschgeweih in schlichter Ausführung frei.
    »Unsere Zusammenarbeit ist beendet«, teilt mir die Stimme jetzt mit. Ich schalte das Handy aus und überlege, ob es mir helfen würde, den Zug ebenfalls in Unna zu verlassen. Ich entscheide mich dagegen. Es wäre lediglich ein Aufschub.
    Zwei weitere Männer, die nicht gegensätzlicher sein könnten, steigen zu. Ein hochgeschossener Krawattenträger im teuren Anzug und ein kleiner untersetzter Mittfünfziger in Kniebundhose und Lodenmantel. Ein grauer Vollbart überwuchert die untere Hälfte seines Gesichtes, die obere Hälfte liegt im Schatten des Jägerhutes, auf dem ein Dachsbart wippt. Er entspricht perfekt dem Klischeebild eines Jägers. Allerdings fehlt ihm die Flinte.
    Der Zug rollt an und nimmt Fahrt auf in Richtung Lünern, während ich mich frage, ob mein Mörder bereits an Bord ist. Wenn ja, dann gibt es zwei Handlungsvarianten. Bei der ersten werde ich vor aller Augen und der laufenden Videoüberwachung der Eurobahn erschossen. Das wäre ein deutliches Signal an meinen Berufsstand. Für diese Variante müsste der Vollstrecker sich in irgendeiner Weise maskiert haben, damit man aus dem Überwachungsvideo keine Fahndungsfotos nehmen könnte.
    Bei der zweiten Variante würde mich der Vollstrecker beim Aussteigen erledigen, wahrscheinlich mit einem dünnen, schmalen Messer, das er mir in die Nieren stoßen würde. Einmal, zweimal, dreimal.
    Ich studiere meine potenziellen Mörder: Mister Zombie hat sich beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Gute Tarnung – sein wahres Gesicht wird keiner beschreiben können. Aber er ist zu jung, zu nervös und hat für einen Profi viel zu oft in meine Richtung geblickt. Ich gebe ihm keine dreißig Prozent.
    Der Jäger könnte sich mit seinem Rauschebart und der zünftigen Kluft verkleidet haben. Wahrscheinlichkeit daher über fünfzig Prozent.
    Die Ballonseideanzüge des Pärchens garantieren maximale Beweglichkeit. Sehr gut für Kampfsportler. Vielleicht arbeiten die beiden im Team. Allerdings wirken sie nicht gerade kämpferisch und auch nicht sportlich. Was aber auch wiederum Tarnung sein kann. Ihre Wampen könnten aus Schaumstoff bestehen. Zur Vorsicht gebe ich ihnen auch mal knappe fünfzig Prozent.
    Die drei Nordafrikaner sind schwierig einzuschätzen. Ihre ständige Nähe zur Zugtür und die Möglichkeit, dass sie sich illegal in Deutschland aufhalten könnten und daher in keiner Datei auftauchen, macht es schon fast zu offensichtlich. Zu dritt können sie mich ohne Weiteres fertigmachen. Das wäre vonseiten der Auftraggeber schon fast ein Kompliment an mich.
    Mindestens sechzig Prozent. Was nichts mit ihrer Herkunft zu tun hat. Jede Gesellschaft erschafft Mörder. Ich kenne mich da bestens aus. Der sadistischste Auftragsmörder, dem ich jemals begegnet bin, kam aus Oberammergau und spielte eine ziemlich wichtige Rolle bei den Passionsspielen. Als strenggläubiger Katholik versuchte er dauernd, mich, den eher lockeren Protestanten, zu bekehren. Vor zwanzig Jahren

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