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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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getan hatte, um meine Anwesenheit nach Meinung der Auftraggeber notwendig erscheinen zu lassen, der Mann war kein Feigling. Ich ging langsam rückwärts zur Tür, machte dabei einen Bogen um den Jungen und sagte zu Locker: »Ich überlege mir das noch mal mit Huckarde.«
    Ich verließ das Büro, wohl wissend, dass meine Auftraggeber ein solches Verhalten nicht dulden würden. Auf der Bahnhofstoilette tauschte ich den langen grauen Mantel gegen eine dunkelblaue Jacke. Nahm den Hut vom Kopf und entfernte die Spezialsohlen von den Schuhen, was meine Größe wieder auf die normalen hundertzweiundsiebzig Zentimeter reduzierte.
    Mir war klar, dass ich mich selbst zum Abschuss freigegeben hatte, seitdem ich Lockers Maklerbüro verlassen hatte. Ich hatte versagt. Failed in action . Für meine Auftraggeber ein absolutes Killerkriterium.
    16:40 Uhr
    Also sitze ich jetzt hier in der RB 59, der Hellweg-Bahn, und nähere mich der Station am Stadion des BVB. Dort steigen lediglich ein älteres Pärchen in Ballonseideanzügen und ein junger Bursche mit Baseballkappe ein. Der Junge hat sich extrem bescheuert zurechtgemacht. Wenn ich mittlerweile nicht kapiert hätte, dass heute Halloween ist, würde ich glauben, er hat seinen Kopf kurz in einen Häcksler gesteckt und hinterher versucht, einen Kampfhund zu knutschen. Seine Wangen sind durch großflächige Wunden und Kratzer entstellt, bei denen ich wirklich zweimal hinschauen muss, um zu erkennen, dass sie künstlich sind. Mister Zombie blickt sich für mein Empfinden eine Spur zu lange um und setzt sich dann in die Reihe hinter der jungen Frau mit den Mädchen. Das Mädchen im Skelettkostüm quengelt nach Keksen.
    Die Frau, ich bin mir jetzt sicher, dass sie die Mutter der Kinder ist, kontert mit: »Jetz nich, Alina. Wir fahr’n nach ’n Jochen. Vorher gibt’s nix.«
    Das Mädchen quengelt lauter. Ihre Vampirschwester stimmt mit ein. Mister Zombie starrt regungslos aus dem Fenster. Ich behalte ihn im Auge.
    16:45 Uhr
    Nach wenigen Minuten erreichen wir Dortmund-Hörde. Halb überwucherte Bahnsteige und zwei simple Überdachungen. Niemand steigt ein oder aus. Ich erhasche zwischen den Häusern einen Blick auf den Phoenix-See. Irgendwer sagte mir mal, dass soll eine exklusive Wohngegend werden. Davon ist sie aber noch weit entfernt. Bisher ist das einfach nur Dortmund. Nicht mehr und nicht weniger. Wobei ich schon Orte gesehen habe, gegen die Dortmund wie ein mondäner Kurort wirkt. Es gibt da zum Beispiel Bezirke in Brüssel, in denen das Wohnen einer Bestrafung gleicht.
    16:49 Uhr
    In Aplerbeck kommt eine weitere Mutter mit Kind in den Zug. Eine schmale Blondine in Jeans und Wolljacke. Offensichtlich ist die Jacke selbst gestrickt, denn das Kind, ein Junge von höchstens drei Jahren, trägt eine Mütze aus der gleichen groben Wolle. Mutter und Kind sehen aus wie ein Gegenentwurf zu Halloween. Mir gefällt das. Eine Gefahr geht von den beiden definitiv nicht aus.
    Die Mutter setzt sich in die Reihe neben mir, grüßt etwas scheu und nimmt ihren Jungen auf den Schoß. Ich glaube, dass ihr die Nähe zweier älterer Herren das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Der Junge reckt den Kopf nach dem Zombie und verzieht das Gesicht, als wolle er gleich weinen. Seine Mutter flüstert ihm etwas ins Ohr. Er hört konzentriert zu und nickt mit einer Ernsthaftigkeit, wie sie nur Dreijährige zustande bringen.
    Als wir an den Schrebergärten zwischen Aplerbeck und Sölde vorbeifahren, röchelt der Alte neben mir. Er schließt die Augen und auf seinem großporigen Gesicht glänzt der Schweiß.
    »Alles in Ordnung?«, frage ich.
    Er nickt nur schwach und erläutert knapp und präzise: »Herz.« Als er sich mit der Wange kurz gegen das Fenster lehnt, hinterlässt er einen fettigen Fleck auf dem Glas.
    16:57 Uhr
    In Dortmund-Sölde verlassen die Jungs mit ihren Partyfässchen den Zug.
    Eine Sekunde bevor die Türen schließen, steigen drei Männer ein. Alle Mitte zwanzig, durchtrainiert, mit sorgfältig geglätteten Haaren. Sie setzen sich nicht, sondern bleiben bei der Tür stehen und reden halblaut miteinander. Dem Klang ihrer Sprache zufolge müssen sie Araber sein. Oder Nordafrikaner. Wenn die hinter mir her sind, kann es eng werden.
    Die blonde Mutter in der selbst gestrickten Wolljacke beobachtet sie nervös. Als einer der Männer ihr zulächelt, wendet sie abrupt den Kopf zur Seite, kramt eine ziemlich gesund aussehende Gebäckstange aus ihrer Umhängetasche und drückt sie dem Kind in die

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