Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
perfekt, aber immer noch ausreichend. Zwei Schüsse. Beide in die rechte Kopfseite. Jetzt hat Mister Untot da zwei echt zombiemäßige Löcher vom Kaliber 9 mm. Sofortiger Kollaps des Zentralnervensystems. Er ist schon tot, ehe er sich auf dem Boden langmacht.
»Alles in Ordnung!«, rufe ich halblaut und schicke vor allem zur Beruhigung der Mutter und ihrem Kind eine Lüge hinterher: »Ich bin von der Polizei!«
Die Frau hat sich schützend über ihren Sohn gelegt. Beide wimmern. Der zweite Nordafrikaner rennt zu seinem Freund. Der blutet stark, ist aber meiner Meinung nach nicht besonders schwer verletzt.
Dafür spüre ich jetzt einen stechenden Schmerz in meiner rechten Seite. Nicht in der linken. Wie sonst so oft in den letzten Wochen. Dieser Schmerz jetzt ist auch viel heftiger. Verdammt, was …
Ich wanke in den Mittelgang, die Waffe in der rechten Hand und presse die linke auf die Stelle an meinem Körper, wo es plötzlich ganz heiß wird.
Da ist alles voller Blut.
Verdammt, verdammt!
Der Alte auf dem Platz neben mir schläft nicht mehr. Im Gegenteil.
»Knarre fallen lassen, du Bazi«, grinst er mich an. In der linken Hand hält er einen Dolch mit Hirschhorngriff, die Pistole in der rechten zielt auf … die Mutter mit dem Kind.
Er hätte mich eben einfach abknallen können, aber das liegt ihm nicht. Er hat mich zuerst verletzt. Er will mich leiden lassen. So funktioniert seine große Show.
»Nierenarterie«, erklärt er mit einem Kopfnicken auf meine Verletzung, als hätte er meine Gedanken erraten. Das Blut strömt zwischen meinen Fingern hervor.
Mister Zombie war nur eine Ablenkung, ein Zombieopfer sozusagen. Irgendwie haben sie ihn zu dem Job zwingen können. Darin sind sie sehr gut. Er hatte garantiert keine Ahnung, dass er nur ein Statist für den richtigen Killer sein würde.
»Lass die Knarre fallen«, wiederholt der Alte und bemüht sich immer noch, seinen bayerischen Dialekt zu unterdrücken. »Sonst erschieße ich zuerst die Mama.«
Ich habe den Dolch sofort erkannt. Damit hat er damals die Weißrussen in Frankfurt verstümmelt. Damit wollte er auch die Prostituierte schneiden, wenn ich ihn gelassen hätte. Der Bayer aus Oberammergau hat sich in den letzten zwanzig Jahren so sehr verändert, dass ich ihn unmöglich wiedererkennen konnte. Und ich weiß noch nicht mal, wie viel von den Haaren, den roten Äderchen auf der Nase und den bläulich schimmernden Lippen Maskerade ist.
»Versprichst du mir, hier keinem was zu tun?«, frage ich und spüre, wie ich schwächer werde.
Er nickt und bleckt sein schneeweißes Gebiss. »Sicher! Ehrensache!«
Der Bayer zielt noch immer auf die beiden, nicht auf mich. Der Lauf meiner Waffe zeigt zu Boden und jetzt wird die Welt auch mit Brille ganz nebelhaft.
Ich lasse meine Walther P 99 los und höre wie aus weiter Ferne meine Waffe auf den Boden aufprallen. Meine Beine knicken ein. Ich versuche, mich irgendwo festzuhalten, aber meine Hände greifen ins Leere.
Der Killer blickt gut gelaunt auf mich hinab. »Das geht aber flott mit dir«, sagt er und meint damit offenbar die Geschwindigkeit, mit der ich ausblute. Er hat einen perfekten Stich gesetzt. Mein Blut breitet sich unter mir in einer zähen Pfütze aus.
»Ich habe übrigens gelogen«, teilt mir mein Mörder mit. »Hier kommt keiner lebend raus.«
Er nickt zu der Mutter und dem Kind hinüber. »Heute ist Tabula rasa angesagt. Und du wirst mich nicht daran hindern.«
Ich habe gewusst, dass ich ihm nicht trauen kann. Er wird sich die Gelegenheit zum Schneiden und Stechen nicht entgehen lassen. Aus diesem Grund habe ich die linke Hand längst in der anderen Jackentasche. Er bemerkt es nicht, weil ich auf der Seite liege. Meine Finger sind voller Blut und der Kolben meiner Rückversicherung – Walthers kleine Schwester – fühlt sich an wie ein glitschiger Aal. Meine Gedanken sind wie flüchtige Rauchschwaden. Ich muss mich konzentrieren.
Mit geschlossenen Augen höre ich die junge Frau kreischen: »Gehen Sie weg! Bitte! Gehen Sie weg!«
Irgendwo stöhnt eins der anderen Opfer auf.
Ich öffne die Augen und erkenne undeutlich die Gestalt des Bayernkillers. Er beugt sich über die Mutter mit dem Kind. Hält mich für erledigt und will jetzt noch seinen Spaß haben.
Ich bin froh, dass ich keiner Menschenseele von Walthers geheimer Schwester erzählt habe. Sie ist eine flache, nur vierhundert Gramm leichte Pistole. Eine CZ 92, Kaliber 6.35 mm. Nur Stümper verlassen sich auf eine einzige
Weitere Kostenlose Bücher