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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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Ächzen des Mannes, der am anderen Ende stand – und ihn umbringen wollte. Der Jäger von Soest versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten.
    Dann fiel er.
    Er war wütend. Wütend und verzweifelt. Warum hatte sich Soest gegen ihn verschworen? Warum leugnete man ihn? Wieso tat man so, als habe er nie existiert? Womit hatte er das verdient?
    Er hatte erwartet, dass man ihn überall suchen würde. Dass sich ganz Soest um ihn sorgte. Dass sein Schicksal die Schlagzeilen des Soester Anzeigers und der Lippstädter Tageszeitung beherrschen würde. Und stattdessen: nichts.
    Nicht einmal ein Fünfzeiler auf Seite drei. Sein Plan, zur Überraschung aller am Tag der Kirmeseröffnung im vollen Ornat, mit grünem Wams und lustigen Federn am Hut, auf der Bühne der Bayernfesthalle zu erscheinen und sich vom Volk feiern zu lassen – die Rückkehr des verloren geglaubten Sohnes sozusagen –, zerplatzte wie ein Luftballon von der Losbude.
    Nicht er, sondern ein anderer, ein falscher Jäger stand schließlich auf der Bühne. Offenbar hatte das geheime Komitee erneut getagt und einen Ersatzmann gewählt. Wohl aus Angst, er, der wahre Jäger, hätte sich einfach aus dem Staub gemacht, die Soester schnöde im Stich gelassen. Und das Jägerken gehörte nun mal zur Allerheiligenkirmes wie der Pferdemarkt und das Bullenauge. Eine Kirmeseröffnung ohne Jägerken war wie Weihnachtsmarkt ohne Glühwein oder Karneval ohne schmutzige Witze. Schlicht undenkbar.
    Also hatte man den Mantel des Schweigens über sein Verschwinden gebreitet und still und heimlich für Ersatz gesorgt. Und nicht nur das. Man tat so, als sei der andere, der falsche Jäger, von vornherein für dieses Amt bestimmt gewesen. Als habe es ihn, den wahren Jäger, nie gegeben. Wie konnte die Welt nur so ungerecht sein?
    Immerhin begriff er jetzt, wer ihn hatte töten wollen. Bei dem Mann, der ihn mit der Wippe ins Wasser katapultiert hatte, konnte es sich um keinen anderen als den falschen Jäger handeln. Dieser Typ musste gewusst haben, dass er auf Platz zwei der Liste des geheimen Komitees stand, dass er nachrücken würde, wenn der wahre Jäger beiseitegeräumt war. Nur so war dieser blinde Akt der Gewalt zu erklären, dieser Versuch, ihn im Großen Teich zu ertränken.
    Aber er war nicht ertrunken, er hatte überlebt. Mit dem Aufprall auf der Wasseroberfläche verschwand die Lähmung, die ihn auf der Wippe befallen hatte. Er war in der tintig dunklen Brühe versunken, das schon, doch gleichzeitig fühlte er sich wunderbar lebendig. Auch sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Und sagte ihm, dass er nicht sofort auftauchen durfte. Das Schwein, das ihn töten wollte, würde sicher noch am Ufer stehen. Deshalb entfernte sich der wahre Jäger, ohne aufzutauchen, mit langsamen Schwimmzügen von der Wippe. Erst als ihm schon die Sinne schwanden, er keine Sekunde länger ohne Sauerstoff ausgehalten hätte, tauchte er auf und schnappte nach Luft. Vorsichtig blickte er sich um. Der andere war verschwunden, vermutlich im Gefühl, gesiegt zu haben.
    Natürlich hatte er daran gedacht, zur Polizei zu gehen. Aber was, wenn ihm die Polizisten nicht geglaubt hätten? Er konnte ja keine Beweise vorlegen. Es gab keine Zeugen. Vielleicht kämen die Polizisten zu der Überzeugung, er habe sich freiwillig in den Teich gestürzt, um sich wichtigzumachen. Und dann würden andere Klugscheißer seine geistige Gesundheit in Zweifel ziehen, ihn für verrückt erklären. Nein, die Gefahr, dass man ihm die Jägerehre in letzter Sekunde aberkannte, war zu groß. Die Gerechtigkeit musste warten. Bis nach der Allerheiligenkirmes.
    Das waren seine Überlegungen gewesen. In jener Nacht, als er nass und frierend durch die engen Gassen der Soester Altstadt schlich. Er hatte nicht gewusst, wohin er gehen sollte. Es gab keinen Ort, an dem er sich sicher fühlen konnte. Wer garantierte denn, dass der Mörder nicht einen neuen Anschlag verübte, wenn er ihn entdeckte? Er musste sich verstecken, das stand fest. Aber wo?
    Da kam ihm das Glück zu Hilfe. Mitten in der Nacht war ihm ein Mann begegnet, der ihn in seine Wohnung einlud und ihm ein paar trockene Kleidungsstücke überließ. Und es kam noch besser. Der wahre Jäger durfte während der gesamten Kirmeszeit die Wohnung nutzen, der Wohnungsinhaber selbst verschwand schon am nächsten Tag.
    Trotz seiner Freude über dieses Angebot war der wahre Jäger ein wenig konsterniert, fast sogar ärgerlich. Denn kein eingeborener Soester verpasste ohne Not

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