Kali Darad - Königin der Arena (German Edition)
verklungen war, kehrte das allgemeine Stimmengewirr wieder in den Schankraum zurück.
9
Schatten. Ein Meer aus flüssigen, geronnenen Schatten, die sich in einem wabernden Malstrom zu immer neuen Formen verdrehten. Gesichter. Bärtige Gesichter, die sie böse angrinsten. Hände, die sich gierig nach ihr ausstreckten, um ihr weh zu tun. Sechs große runde Augen, die entsetzt, fast flehend zu ihr aufsahen, während sie sich langsam, flatternd, als würden sie gerade einschlafen, schlossen, um sich nie mehr zu öffnen.
Und mit einem Mal erwachte in ihrer Brust eine unermessliche Trauer. Eine Trauer, die sie weder verstehen, noch deuten konnte, die sie jedoch mit ihrer tonnenschweren Last unter sich erdrückte. Sie weinte bitterlich. Trauerte. Beklagte einen Verlust, an den sie keinerlei Erinnerungen hatte. Doch ihre Tränen wurden ihr sofort von der brodelnden Dunkelheit vom Gesicht gerissen und ihr Schluchzen verklang ungehört in der erstickenden Stille, die sie umgab. Sie war allein. Allein und verlassen. Selbst dieser Barde, Taros Goll, der ihr mehr bedeutete, als sie zu sagen wagte, war nicht mehr bei ihr. Er hatte sie einfach in der Hölle ihrer blutenden und geschändeten Seele zurückgelassen. Vielleicht, um endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Weit weg von diesem unberechenbaren Monster das sie war, und endlich wieder bei hübschen Frauen, die ihm das geben konnten, wonach es ihm verlangte – wonach es allen Männern verlangte. Sie weinte, wollte schreien, ihren ganzen Schmerz in einem einzigen markerschütternden Schrei in die Welt hinaus gellen lassen, der die Herzen aller Lebenden einen Schlag lang aussetzen und ihre Seelen zerspringen lassen würde.
Wieder veränderten sich die rastlosen Schatten vor ihren Augen, formten ein Gesicht, dessen Anblick ein Messer in ihr Herz trieb. Der Schmerz, ihn nicht nur zu vermissen, sondern auch noch sein Angesicht mit der hübschen Narbe so deutlich vor sich sehen zu müssen, war mehr als sie ertragen konnte. Sie hatte nur noch einen Wunsch: Endlich sterben zu dürfen. Dieses grässliche Leben, das nur Schmerz und Qual für sie übrig hatte, endlich hinter sich lassen zu können und dem ewigen Vergessen anheimfallen zu dürfen.
Und während sie so ihrer Trauer und ihren lebensmüden Gedanken nachhing, drang durch die tote Stille ein Geräusch an ihre Ohren, dass sie aufhorchen ließ. Zunächst dachte sie, sie hätte sich geirrt. Doch dann hörte sie es wieder. Rief da jemand ihren Namen? Verwundert stellte sie fest, dass die Dunkelheit um sie herum langsam heller zu werden schien. Wie ein heraufziehender Morgen, der die Schrecken einer albtraumhaften Nacht vertrieb. Die Wogen und Wirbel verblassten mehr und mehr, wie auch immer mehr Geräusche zu ihr durchdrangen. Hufe klapperten, schwere hölzerne Räder rumpelten und knirschten über harten Boden, ein Pferd wieherte.
Doch all das war nebensächlich. Ihr ganzes Interesse galt dem Gesicht vor ihr, welches statt zu verblassen, immer schärfer und deutlicher wurde. Und es lächelte.
» Kali«, hörte sie seine Stimme sagen. »Kali, wach auf. Ja, so ist es gut. Wach auf, du altes Kampfhuhn.«
Ihr Herz machte einen Sprung. Er war es. Er war hier. Hier bei ihr. Am liebsten wäre sie ihm vor Glück um den Hals gefallen und hätte ihn mit aller Kraft an sich gedrückt. Doch sie war zu schwach, außerstande auch nur einen Arm zu heben.
Erst nach einem Dutzend Herzschlägen fiel ihr auf, dass sein Gesicht nicht vor ihr war, sondern über ihr. Sie lag. Sie lag auf dem Boden des Wagens und über dem Mann spannte sich die Plane jenen Gefährts wie ein Zelt. So blieb ihr nicht viel mehr, als den Mann träge anzulächeln und mit schwerer Zunge das auszusprechen, was gerade in ihr vorging: »Freude. Glück. Du bist da.«
» Und du auch«, lächelte er gequält zurück und strich ihr sanft über die Wange.
Sie blinzelte benommen, als sie in seinen Augen etwas glitzern sah. »Warum Tränen?«
»Warum?«, schnaubte er, als habe er noch nie zuvor eine dümmere Frage gehört, und wich ihrem Blick aus. »Weil ich... Weil ich dachte...« Er musste sich zuerst schniefend die Tränen aus den Augen wischen, bevor er weiter reden konnte. »Weil ich dachte, ich hätte dich verloren.«
Kali Darad war von den Gefühlen dieses Mannes gleichermaßen überrascht wie gerührt. Noch nie hatte jemand um sie geweint. Sie war gedemütigt und verspottet, bejubelt, verehrt und auf eine kranke, skrupellose Weise
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