Kalix - Die Werwölfin von London
Rainal davon beeindruckt, wie gelassen Verasa der Gefahr begegnete. Aber Rainal kannte nicht alle Geheimnisse der Herrin der Werwölfe.
Er wusste zum Beispiel nicht, dass Eskandor MacRinnalch sich in einem Turm auf den Burgmauern versteckte, mit einem Präzisionsgewehr voll Silberkugeln und Verasas Befehl, Wallace zu erschießen, falls es so aussah, als würde er Markus töten. Er wusste nicht, dass Verasa selbst eine kleine Pistole unter ihrem Umhang versteckt hielt, die ebenfalls mit Silberkugeln geladen war und die Verasa im Notfall auch benutzt hätte. Statt Markus sterben zu lassen, hätte sie das größte Tabu der Werwölfe gebrochen und Wallace getötet, selbst vor den Augen des versammelten Clans. Was Rainal ebenfalls nicht wusste und auch nie erfahren würde, war die Tatsache, dass auf Verasas Veranlassung hin die Innenseite des Kelches, aus dem Wallace vor dem Kampf Whisky getrunken hatte, mit Gift bestrichen wurde. Das Gift hatte ihm langsam die Kraft geraubt und es so aussehen
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lassen, als wäre er nur vom Kampf erschöpft. Während des Kampfes war Verasa leicht besorgt gewesen, dass sie vielleicht zu wenig Gift benutzt hatte. Aber wie sich zeigte, hatte es perfekt funktioniert. Für jeden Beobachter des Zweikampfes hatte Wallace sich einfach verausgabt, während Markus durch sein größeres Durchhaltevermögen und seinen stärkeren Willen den Sieg davontrug. Das Gift schwächte, wirkte aber nicht tödlich. Bis Wallace sich von seinen Verletzungen erholt hatte, würde die Substanz aus seinem Körper verschwunden sein.
Niemand würde je erraten, was geschehen war, am allerwenigsten Markus.
Die Herrin der Werwölfe hatte ihrem Sohn nichts von ihren Vorsichtsmaßnahmen erzählt. Trotzdem hatte er sich dem furchterregenden Wallace zum Kampf gestellt, ohne auch nur einen Moment lang zu zögern.
Verasa war stolz auf ihn. Wenige Werwölfe, die den Zweikampf beobachtet hatten, würden ihn jetzt noch für einen unwürdigen Fürsten halten. Vielleicht bevorzugten immer noch viele Sarapen, aber niemand konnte mehr behaupten, Markus sei feige.
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Yum Yum brachten ihr Set zu einem prächtigen Abschluss. Die Zwillinge tobten über die Bühne, sangen, schrien und warfen Sachen um. Der Gig war zu einem vollen Erfolg geworden; besser, als irgendjemand, der die Schwestern kannte, erwartet hätte. Dominil war zufrieden. In ihrer nüchternen Art nahm sie die Fehler der Band missbilligend zur Kenntnis, aber sie wusste, dass sie nichts ausmachten. Das nackte Talent und der Enthusiasmus der Zwillinge war für heute Abend genug.
»Aber sollte ich jemals für eine Studioaufnahme verantwortlich 462
sein«, überlegte sie, »werde ich dafür sorgen, dass es deutlich professioneller läuft.«
Vex glühte. Sie hatte den ganzen Abend über getanzt. Daniel konnte nicht mehr mithalten; er saß an einem Tisch in der Nähe und brachte ihr gelegentlich etwas zu trinken. Weiter hinten stand Malveria und staunte. Sie war die würdevolle Musik gewohnt, die bei Zeremonien der Hiyastas gespielt wurde.
Was da von der Bühne klang, hörte sich überhaupt nicht nach Musik an. Der Zauberin gefiel es kein Stück besser als der Feuerkönigin. Für Gitarrenge-schrammel hatte sie noch nie viel übriggehabt. Außerdem war sie wegen Sarapen und der Gilde in Alarmbereitschaft, sah sich ständig um und ging sicher, dass ihre Schutzzauber noch wirkten.
Gawain hielt Kalix fest im Arm und war überrascht, als sie plötzlich jemand von seinem Schoß ziehen wollte. Es war Vex.
»Sei nicht so langweilig«, sagte sie zu Kalix. »Du sitzt schon den ganzen Abend da. Komm tanzen.«
»Die Band hat aufgehört«, sagte Kalix.
»Sie spielen gleich eine Zugabe. Komm tanzen!«
Vex' Augen strahlten vor Begeisterung. Sie fing an, an Gawain zu zerren. Ihm war das unangenehm.
»Ich tanze nicht«, sagte er.
»Was soll das heißen, du tanzt nicht?«
»Ich bin ... ahm ...«
»Ein tiefsinniger Poet«, beendete Kalix den Satz für ihn und küsste ihn auf die Stirn. Vex war enttäuscht. »Geh ruhig«, sagte Gawain zu Kalix.
Als Kalix sich von Vex mitziehen ließ, kamen Yum Yum gerade für ihre Zugabe auf die Bühne. Vile Werewolf Whore war ein besonders bösartiger Angriff gegen alles, was mit weißhaarigen Werwöl-finnen von Burg MacRinnalch zu tun hatte.
Kopfschüttelnd sah die Feuerkönigin Kalix und Vex beim Tanzen zu. Ihr fiel der riesige Unterschied zwischen dem Verhalten von Vex und ihrem eigenen in diesem Alter auf. Damals hatte
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Malveria
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