Kalle Blomquist
einen schnellen Seitenblick zu. Er hätte sich selbst so furchtbar gern für sie in den Kampf geworfen. Aber es war leider Anders, der den Vorzug gehabt hatte, von Sixtus Poussierstengel genannt zu werden.
»Hej, Anders!« schrie Eva-Lotte aus vollem Herzen. Aber jetzt war auch Anders so weit gekommen, wütend zu werden, und er warf sich in einen rasenden Nahkampf, der Sixtus zum Rückzug zwang.
Nach den Vorschriften sollte ein Duell dieser Art nicht mehr als zehn Minuten dauern. Benka stand mit der Uhr in der Hand, und die beiden Duellanten, die wußten, daß die Zeit kostbar war, taten ihr Alleräußerstes, um den Kampf zu gewinnen. Aber jetzt schrie Benka »Abbrechen!«, und mit Aufwand aller ihrer Selbstbeherrschung kamen Sixtus und Anders seinem Befehl nach.
»Unentschieden«, sagte Benka.
Sixtus und Anders schüttelten einander die Hände.
»Die Beleidigung ist abgewaschen«, sagte Anders. »Aber ich habe die Absicht, dich morgen zu beleidigen, und dann können wir weitermachen.«
Sixtus nickte zustimmend. Das bedeutete Kampf zwischen der Weißen und der Roten Rose.
Sixtus und Anders hatten ihre Banden nach einem hohen Vorbild aus der Geschichte Englands getauft.
»Ja«, sagte Anders feierlich, »nun herrscht Kampf zwischen der Weißen und der Roten Rose, und tausend und aber tausend Seelen werden in den Tod gehen – hinein in die Nacht des Todes.« Diesen Ausdruck hatte er auch der Geschichte entnommen, und er fand, daß es seltsam schön klang, wie es hier so, nach beendetem Streit, herausgeschleudert wurde, während sich die Dämmerung auf die Prärie senkte.
Die Weißen Rosen – Anders, Kalle und Eva-Lotte – tauschten ernsthaft Händeschütteln mit den Roten Rosen aus – Sixtus, Benka und Jonte –, und man trennte sich. Das Merkwürdige war, daß Sixtus Eva-Lotte, obwohl er glaubte, begründeten Anlaß zu haben, Anders Poussierstengel nachzurufen, als er mit Eva-Lotte die Straße entlanggekommen war, voll und ganz als würdigen Gegner und Repräsentanten für die Weiße Rose akzeptierte.
Die drei Weißen Rosen gingen heimwärts. Besonders die Weiße Rose Kalle hatte es sehr eilig. Er fühlte sich niemals richtig ruhig, wenn er nicht jederzeit Onkel Einar unter Aufsicht hatte. »Es ist genauso, als ob man ein Hausschwein zu hüten hätte«, dachte Kalle.
Anders hatte Nasenbluten. Gewiß hatte Sixtus gesagt, daß er sein »Herzblut« sehen wolle, aber ganz so gefährlich war es also nicht geworden.
»Du hast diesmal einen feinen Match gehabt«, sagte Eva-Lotte bewundernd.
»Na ja«, sagte Anders bescheiden und sah auf sein blutbe-flecktes Hemd. Es gab sicher Krach deswegen, wenn er nach Hause kam. Am besten war, es so schnell wie möglich überstan-den zu haben. »Wir treffen uns morgen«, sagte er abschließend und lief davon.
Kalle und Eva-Lotte gingen zusammen. Aber da fiel es Kalle ein, daß seine Mutter ihn gebeten hatte, eine Abendzeitung zu kaufen. Er nickte Eva-Lotte zu und ging allein zum Zeitungskiosk.
»Alle Abendzeitungen sind ausverkauft«, sagte die Dame im Kiosk. »Versuch es beim Hotelportier!«
Na ja, da war nichts anderes zu machen. Vor dem Hotel traf Kalle Schutzmann Björk. Kalle fühlte eine Welle kollegialer Sympathie für ihn. Ganz gewiß war Kalle Privatdetektiv, und Privatdetektive standen ja immer ein paar Stufen über den gewöhnlichen Polizisten, die sich meistens merkwürdig ungeschickt bei der Lösung selbst des einfachsten kriminalistischen Rätsels erwiesen, aber Kalle fühlte jedenfalls, daß es Bande der Gemeinsamkeit zwischen ihm und Schutzmann Björk gab. Sie wirkten beide für die Bekämpfung von Verbrechen in der Gesellschaft.
Kalle hatte große Lust, Schutzmann Björk über das eine oder andere um Rat zu fragen. Sicher gab es keinen Zweifel darüber, daß Kalle ein für sein Alter besonders hervorragender Kriminalist war, aber er war doch trotz allem nicht älter als dreizehn Jahre.
Meistens gelang es ihm, vor dieser Tatsache die Augen zu schließen, und unter seiner Detektivwirksamkeit stellte er sich immer sich selbst als einen reifen Mann mit scharfem durch-dringendem Blick vor, die Pfeife nachlässig im Mundwinkel, einen Mann, der mit »Herr Blomquist« angeredet und mit großer Ehrfurcht von den Mitgliedern der Gesellschaft behandelt wurde, während dagegen deren verbrecherische Elemente ihn mit tiefstem Schreck betrachteten. Aber gerade jetzt fühlte er sich nur als Dreizehnjähriger, und er war geneigt zuzugeben, daß Schutzmann Björk eine
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