Kalle Blomquist
er das Silber-zeug klaut!«
»Du mußt dich noch eine Weile gedulden«, sagte Kalle. »Im übrigen hat er an wichtigere Sachen zu denken als an Silberzeug, das kannst du mir glauben. Er ist in einer verdammten Klemme, denn Krok und Redig bewachen ihn wie ihren Augen-stern.«
»Also deswegen hat er sich nach dem Essen hingelegt! Er sagte, daß er krank sei.«
»Du kannst dich darauf verlassen, er hat sich wirklich krank gefühlt«, sagte Anders. »Aber jetzt müssen wir vor allen Dingen mit den Roten Frieden schließen. Du, Eva-Lotte, kannst die Parlamentärfahne hissen und hingehen und die Sache ordnen.
Die werden natürlich glauben, daß wir verrückt geworden sind.«
Eva-Lotte band gehorsam ein weißes Taschentuch an einen Stock und marschierte zu Sixtus’ Garage hin, wo ihr Angebot bedingungsloser Kapitulation sowohl mit Verwunderung als auch mit Mißvergnügen entgegengenommen wurde.
»Seid ihr nicht gesund?« fragte Sixtus. »Jetzt, wo wir gerade so schön in Gang gekommen sind!«
»Wir übergeben uns bedingungslos«, sagte Eva-Lotte. »Ihr habt gewonnen. Aber wir werden euch bald wieder beleidigen, und dann sollt ihr mal sehen, wie die Funken fliegen!«
Sixtus setzte widerwillig einen Friedensvertrag mit äußerst harten Bedingungen für die Weißen auf: Sie sollten bei Ausbe-zahlung des wöchentlichen Taschengeldes auf die Hälfte verzichten, zwecks Einkaufs von gemischten Bonbons für die Roten. Wenn sie einem der Roten auf der Straße begegneten, sollten sich außerdem die Weißen dreimal tief verbeugen und sagen: »Ich weiß, daß ich nicht würdig bin, den gleichen Boden zu betreten wie du, o Herr!«
Eva-Lotte unterzeichnete den Vertrag im Auftrag der Wei-
ßen, drückte feierlich dem Chef der Roten die Hand und rannte zum Bäckereiboden zurück. Als sie durch die Gartentür lief, konnte sie nicht vermeiden, einen von Onkel Einars »Freun-den« zu sehen, der gegenüber auf dem Bürgersteig stand.
»Der Wachtdienst ist in vollem Gang«, rapportierte sie.
»Das hier wird sicher ein Krieg, der besser ist als der der Rosen«, sagte Anders zufrieden. »Du, Kalle, was wollen wir jetzt machen?«
Obwohl Anders sonst der Chef war, sah er ein, daß er sich in diesem speziellen Fall Kalle unterordnen mußte.
»Vor allen Dingen die Juwelen ausfindig machen! Wir müssen zur Schloßruine. Aber einer muß zu Hause bleiben und Onkel Einar und die andern beiden überwachen.«
Kalle und Anders sahen Eva-Lotte auffordernd an.
»Niemals!« sagte Eva-Lotte bestimmt. »Ich will mitgehen und die Juwelen suchen. Im übrigen liegt Onkel Einar im Bett und tut so, als ob er krank wäre. Es wird also wohl nichts passieren, während wir weg sind.«
»Wir wollen eine Streichholzschachtel vor seine Tür legen«, schlug Kalle vor. »Wenn sie noch genauso daliegt, wenn wir nach Hause kommen, dann wissen wir, daß er nicht fort gewesen ist.«
»Mit Hacke und mit Spaten, so ziehn wir fröhlich aus«, sang Anders, als sie eine Weile später die schmale Treppe zur Ruine hinaufeilten.
»Wenn wir jemand treffen, dann sagen wir, daß wir nach Regenwürmern graben wollen«, sagte Kalle.
Aber sie trafen niemand, und die Ruine lag einsam und verlassen da wie immer. Es war kein anderer Laut zu hören als das Summen der Hummeln.
Plötzlich fiel Anders etwas ein. »Wie in aller Welt sollen wir in den Keller runterkommen? Du hast ja gesagt, daß dort die Juwelen sein müssen, Kalle. Wie bist
du
damals reingekommen, als du die Perle gefunden hast?«
Das war Kalles großer Augenblick. »Ja, wie pflegt man durch geschlossene Türen zu kommen?« sagte er überlegen und holte den Dietrich hervor.
Das imponierte Anders mehr, als er eigentlich zugeben wollte.
»Kreuzdonnerwetter!« sagte er, und Kalle faßte das als Kompliment auf.
Die Tür drehte sich in ihren Angeln – der Durchgang war frei. Und wie eine Koppel Jagdhunde stürzten Kalle, Anders und Eva-Lotte die Treppe hinunter.
Nachdem sie zwei Stunden gegraben hatten, legte Anders den Spaten fort.
»Ja, jetzt sieht der Fußboden hier wie ein besseres Kartoffel-feld aus. Aber ich habe niemals irgendwo so wenig Diamanten gesehen wie hier. Woran das nun liegen mag!«
»Du kannst doch wohl nicht erwarten, daß wir sie sofort finden!« sagte Kalle. Aber auch er war entmutigt. Sie hatten jeden Zoll des Fußbodens in dem großen Kellerraum, der unter der Treppe lag, umgegraben. Dies war der eigentliche Keller. Aber von da aus zweigten lange, dunkle, zum Teil eingefallene Gänge ab,
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