Kalle Blomquist
Hosentaschen.
»So ist es recht«, lobte Eva-Lotte sie. »Spare in der Zeit, so hast du in der Not.« Den Umschlag warf sie zusammengeknüllt über den Zaun auf die Straße.
»Was machen wir nun?« fragte sie.
»Hört mal, wir radeln los und baden«, sagte Kalle. »Mehr bekommen wir heute doch nicht zu tun.«
»Du hast recht«, meinte Anders. »Wir können wahrhaftig bis zum Abend Waffenstillstand eintreten lassen.«
Zwei Minuten später kam Benka, von Sixtus ausgeschickt, um mit zweckmäßigen Schmähungen die Weißen zum Kampf zu reizen. Aber die Laube war leer. Nur eine kleine Bachstelze saß auf der Schaukel und pickte ein paar Krümel auf.
Um Mitternacht, als der Vollmond leuchtete, schliefen Kalle und Eva-Lotte ruhig in ihren Betten. Nur Anders war wach.
Auch er war in gewohnter Weise zu Bett gegangen. Er brachte höchst kunstvolle Schnarchtöne hervor, damit seine Eltern glaubten, er schlafe. Der Erfolg war, daß seine Mutter ganz beunruhigt an sein Bett kam und ihn fragte:
»Was hast du, Junge, ist dir schlecht?«
»I wo«, sagte Anders und bemühte sich anschließend, nicht ganz so laut zu schnarchen.
Als er endlich das leichte Atmen seiner kleinen Geschwister und die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge seiner Eltern hörte, wußte er, daß alles schlief. Er schlich vorsichtig in die Küche.
Dort lagen seine Kleider auf einem Stuhl. Unruhig horchte er in das Zimmer zurück. Aber alles schlief weiter, und schnell fuhr er in Hose und Hemd. Dann tappte er leise und vorsichtig die Treppe hinunter. Und er brauchte nicht viel Zeit, bis er auf dem Bäckereiboden stand, um den Großmummrich zu holen.
»O erhabener Großmummrich«, flüsterte er, als er die Kommodenschublade wieder zuschob, »halte nun deine mächtige, starke Hand über mein Beginnen; denn weißt du, ich glaube, es ist nötig.«
Die Nachtluft war kühl, und er fröstelte unter seinen dünnen Kleidern. Ein wenig war wohl auch die Aufregung schuld. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, hier so in der Nacht unterwegs zu sein, während andere Menschen schliefen. Fest um-spannte seine Hand den Großmummrich, als er über Eva-Lottes Zaun sprang. Wie dunkel die Erlen am Ufer standen. Der Fluß aber glitzerte im Mondschein.
»Bald sind wir am Ziel, o Großmummrich«, flüsterte er für den Fall, daß der Großmummrich ungeduldig werden sollte. Ja, bald waren sie am Ziel. Da lag die Villa des Postdirektors so dunkel und still, als wenn auch sie schliefe. Alles war ruhig. Nur die Heimchen zirpten.
Anders hatte damit gerechnet, daß mindestens ein Fenster im Hause offenstehen würde, und seine Hoffnung erfüllte sich. Für einen durchtrainierten Jungen wie Anders dürfte es nicht schwer sein, in das Küchenfenster hineinzukommen. Den Großmummrich steckte er in die Hosentasche. Sicher war dieser Platz nicht eines Großmummrichs würdig; aber es mußte sein – Anders brauchte beide Hände frei.
»Verzeih mir, o Großmummrich«, bat er ihn leise.
Seine Finger fuhren in die Tasche, und er war sehr erstaunt, als sie sich um etwas Klebriges legten, das vorher ein Stück Schokolade gewesen war. Anders war nicht mehr so überfüttert wie am Morgen, und er fühlte schon, wie dieser klebrige Kloß ihm großartig schmecken würde. Aber es sollte eine Belohnung werden nach vollbrachter Tat. Er schob den Großmummrich in die andere Hosentasche und leckte vorerst nur die Finger ab.
Dann zog er sich behutsam zum Küchenfenster hoch und wollte hinein.
Ein dumpfes Knurren erschreckte ihn so furchtbar, daß er dachte: Jetzt werde ich wahnsinnig – Beppo! Nicht einen Augenblick lang hatte er an Beppo gedacht! Und doch hätte er sofort wissen müssen, daß dieses Fenster nur offengelassen war, um Beppo Gelegenheit zu geben, des Nachts aus dem Hause zu kommen – falls er mußte und wollte.
»Beppo«, flüsterte Anders beruhigend. »Beppo, ich bin es doch bloß.«
Als Beppo merkte, daß es nur einer von den Spaßmachern war, die Herrchen immer mitzubringen pflegte, ging sein Knurren in entzücktes Gebell über.
»Ach du gutes, kleines, süßes, liebes Beppochen, kannst du nicht leise sein?« bat Anders.
Aber Beppo fand, wenn man fröhlich war, sollte man es auch zeigen und tüchtig bellen und mit dem Schwanz wedeln. Und beides tat er ganz energisch.
In seiner Not fischte Anders das Schokoladenstück hervor und hielt es ihm unter die Nase.
»Hier, sei nur still, dann bekommst du es«, flüsterte er.
Beppo schnüffelte an der Schokolade. Und da er fand,
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