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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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flackerndes Licht. »In jedem Menschen liegen die verschiedenen Tugenden und die Macht Gottes verborgen, die jeweils von verschiedenen Farben und Geräuschen hervorgerufen werden. Das ist uraltes Wissen, aber es ist in meinem und auch deinem Volk für lange Zeit verloren gewesen.«
    Luc starrte seinen Lehrer staunend an. »Wie habt Ihr es gelernt?«
    »Ich habe das Wissen darum von einem Engel empfangen.« Jakob schaute auf den Jungen herab. »Und du wirst es für dich behalten und nur an deine Erben weitergeben, denn wenn unser Volk das Wissen wieder braucht, wird der Engel einem anderen erscheinen.«
    So lernte Luc, im Kreis seinen Geist in Gedanken über dem zu versenken, was Jakob die Sphären der Macht nannte: Kether, die Krone, das erhabene Licht, das direkt über seinem Haupt schwebte und aus dem er die Macht zu sich hinab in den Körper zog; Geburah, Strenge, und Gedulah, Gnade, seine rechte und linke Schulter, welche die rote und blaue Sphäre beherbergten; dann die goldene Sphäre in seinem Herzen, Tifaretz, der Sitz des absoluten Gleichgewichts. Danach kam das Violett des Astralen, Yesod, das über seinem Geschlecht schwebte und der Ort der Vorstellungskraft war, in der alle Magie vollendet wurde. Zuletzt Malkuth, die Welt der Realität, verbunden mit den Füßen, eingeteilt in die Viertel schwarze Erde, Zitronengelb, Ton und Weizen.
    Während er über jede Sphäre meditierte, hallte in Luc der Name Gottes nach, und er genoss das Gefühl des Friedens und der Macht, das auf ihn herabsank. Mit der Zeit ermutigte Jakob ihn, die Zeremonie schweigend, nur in seiner Vorstellung zu vollziehen, denn auf diese Weise war sie noch wirkungsvoller.
    Von Edouard lernte Luc den Gebrauch von Zaubermitteln und die Kunst, Talismane anzufertigen, begleitet von der ernsten Warnung, dass man sie niemals zum Bösen oder zur persönlichen Bereicherung verwenden dürfe, nur zu dem Guten, das Gott darin vorsah. Luc stellte einen Talisman her, der den alten Philippe von seinen Bauchschmerzen heilte, und einen, der einer unfruchtbaren Kuh die Geburt zweier gesunder Kälber bescherte, ein Amulett sogar, das ihn, Luc, für die Ritter des Haushalts unsichtbar machte. Dann fertigte er mit Respekt und erfüllt von großer Freude aus dem reinsten Gold ein Siegel Salomos zum Schutz seines geliebten Lehrers an.
    »Wann erhalte ich meine Weihe?«, fragte er Jakob, nachdem sieben Monate seiner Ausbildung vergangen waren. Der Rabbi, dessen eine Gesichtshälfte im Schatten lag, während die andere von Onkel Edouards Kerze beleuchtet wurde, betrachtete ihn milde. »Wenn die Umstände danach sind, mein Junge.«
    »Ich will nicht ungeduldig erscheinen, aber wann wird das sein, Rebbe?«
    Jakob hatte leise gelacht, und die schiere Enttäuschung hatte Luc die Röte in seine kalten Wangen getrieben. Ich bin imstande, einen schützenden Kreis zu ziehen und Magie auszuüben, ich kenne das hebräische Alphabet, kann Talismane und Zaubermittel herstellen, dachte der Junge.
    Warum hält man mich noch nicht für reif?
    Der alte Mann bemerkte seinen Unmut und sagte in einem Ton, der sowohl Humor als auch ehrliches Bedauern ausdrückte: »Es tut mir Leid, wenn ich dich enttäusche, Luc. Doch ich werde nicht die Ehre haben.«
    »Lieber Lehrer, warum nicht? Von allen seid doch Ihr am ehesten ...«
    Bei diesen Worten schwand Jakobs Humor. »Nein. Im Übrigen bist du noch nicht reif, Luc.« »Bitte, Rebbe, warum?«
    »Die wahre Vereinigung kann nicht mit Furcht im Herzen vollzogen werden.« Als Luc ihn verwirrt anschaute, hielt er inne. Dann fügte er hinzu: »Ich kann es aus einem ganz einfachen Grund nicht, denn es ist eine Frau, die du suchst.«
    Bei dieser Eröffnung hielt Luc die Luft an. Es stimmte, er wusste es über jeden Zweifel hinaus, hatte es schon immer gewusst, oder? Er hatte sie an jenem schrecklichen Tag der Hexenverbrennung gesehen, als sie vom Rand des Wagens gefallen war.
    »Das Mädchen«, flüsterte er, »mit dem dunklen Zopf und den dunklen Augen ...« Er versuchte sich vorzustellen, wie sie jetzt aussehen mochte, Jahre später, aber es gelang ihm nicht. Dennoch war er nicht überrascht, sondern fand es richtig, dass er sie noch liebte und immer geliebt hatte.
    »Ja«, murmelte Jakob neben ihm. »Das Mädchen. Du bist ein tüchtiger Magier, wohl wahr, und du hast die Gabe der Sprache ... Doch es gibt andere Gaben, die dir fehlen, einschließlich der des Zweiten Gesichts, das du brauchst, um deine Feinde zu erkennen. Sie allein kann sie dir

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