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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gegenüberstand, um diese Aufforderung zu hören. Zudem brauchte man genügend Zeit zum Zuhören, hatte er nämlich einmal damit angefangen, war es fast unmöglich, ihn wieder zum Schweigen zu bringen.
    Nachdem Shep den zweiten Waschgang beendet hatte, waren seine Hände ganz rot vom exzessiven Reiben und dem s o h eiß gestellten Wasser, dass er beim Händewaschen vor Schmerz zischend die Luft eingesogen hatte. Wegen der ebenso tödlichen wie hinterhältigen Mikroorganismen, die sich vor aller Augen auf dem verchromten Griff des Wasserhahns versteckten, stellte er das Wasser mit dem Ellbogen ab.
    Dylan konnte sich keine Situation vorstellen, in der sich Shepherd bäuchlings auf den Boden einer Toilette gelegt hätte, um unter mehreren Trennwänden hindurch in eine andere Kabine zu robben. Falls das je irgendwann geschehen sollte, konnte man sicher sein, dass Beelzebub persönlich zur gleichen Zeit in einem Sportgeschäft stand, um sich Schlittschuhe zu besorgen.
    Außerdem war Sheps weißes T-Shirt völlig sauber. Er hatte damit also nicht den Boden gewischt.
    Shep hob die Hände in die Luft wie ein Chirurg, der sich von der Operationsschwester Latexhandschuhe anlegen lassen wollte. In dieser Haltung ging er quer durch den Raum zum Handtuchspender, wo er darauf wartete, dass sein Bruder die Kurbel drehte, weil er diese mit den sauberen Händen nicht selbst anfassen mochte.
    » Bist du nicht in die erste Kabine gegangen? «, fragte Dylan.
    Shep hielt den Kopf wie üblich scheu gesenkt, hatte ihn zugleich aber auch zur Seite geneigt, um die Kurbel des Handtuchspenders im Blick zu haben. » Keime «, sagte er missbilligend.
    » Shep, als wir hereingekommen sind, bist du da nicht schnurstracks in die erste Kabine gegangen? «
    » Keime. «
    » Shep? «
    » Keime. «
    » He, komm schon, hör mir zu, Junge. «
    » Keime. «
    » Jetzt mach mal eine Pause, Shep. Kannst du mir bitte zuhören? «
    » Keime. «
    Dylan kurbelte ein paar Handtücher heraus, riss sie von der perforierten Rolle ab und reichte sie seinem Bruder. » Aber bist du dann nicht aus der vierten Kabine gekommen? «
    Mit finsterem Blick rieb Shep sich die Hände ebenso energisch wie besessen ab, statt sie einfach abzutupfen. » Hier «, sagte er.
    » Wie bitte? «
    » Hier. «
    » Ja, und? «
    » Hier «, wiederholte Shep lang gezogen, als bereitete es ihm seelische Schmerzen, das Wort auszusprechen.
    » Was willst du damit sagen, Shep? «
    Shep zitterte. » Hier. «
    » Was – hier? «, bat Dylan eindringlich um eine Erklärung, obwohl er wusste, dass ihm die wahrscheinlich versagt bleiben würde.
    » Dort «, sagte Shep.
    » Dort? «, wiederholte Dylan.
    » Dort «, sagte Shep nickend, betrachtete jedoch weiterhin zitternd aufmerksam seine Hände.
    » Wo dort? «
    » Hier. « Schwang in Sheps Ton so etwas wie Ungeduld mit?
    » Worum geht es eigentlich, Junge? «
    » Hier. «
    » Hier «, wiederholte Dylan.
    » Dort «, sagte Shep, und was sich zuerst wie Ungeduld angehört hatte, entpuppte sich als Ausdruck der Beklommenheit.
    Um ihm zu helfen, sagte Dylan: » Hier, dort. «
    » Hier, d-d-dort «, wiederholte Shep erschauernd.
    » Shep, was ist denn los mit dir? Shep, hast du Angst? «
    » Angst «, bestätigte Shep. » Ja. Hab Angst. Ja. «
    » Wovor hast du denn Angst, Junge? «
    » Shep hat Angst. «
    » Vor was? «
    » Shep hat Angst «, wiederholte Shepherd, der immer heftiger zitterte. » Shep hat Angst. «
    Dylan legte seinem Bruder die Hände auf die Schultern.
    » Ruhig, ganz ruhig. Ist schon okay, Shep. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ja bei dir, kleiner Bruder. «
    » Shep hat Angst. « Das abgewandte Gesicht von Shepherd war so bleich geworden wie die Gespenster, die er gesehen haben mochte.
    » Deine Hände sind sauber, da sind keine Keime, und nur wir beide sind hier. Du brauchst vor nichts Angst zu haben. Okay? «
    Shepherd antwortete nicht, hörte aber auch nicht auf zu zittern.
    Dylan nahm Zuflucht zu dem Singsang, mit dem sein Bruder meist beruhigt werden konnte, wenn dessen Gefühle in Aufruhr waren. » Gute, saubere Hände, keine schmutzigen Keime, gute, saubere Hände. Wir müssen jetzt los, müssen los, müssen weiterfahren. Okay? Weiterfahren, okay? Du bist doch gern unterwegs, wieder unterwegs, unterwegs zu Orten, an denen wir noch nie gewesen sind. Okay? Wieder auf Achse wie zwei Vagabunden, du und ich. Wie immer auf Achse. Die alte Melodie, die Melodie der Straße. Du kannst dein Buch lesen, lesen und fahren, lesen und

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