Kaltblütig
glaubte Mrs. Clare, und obgleich sie mit ihrer Meinung oft genug allein stand, befand sie sich diesmal in zahlreicher Gesellschaft, denn die meisten Holcomber, die schon sieben Wochen mit üblen Gerüchten, Misstrauen und Argwohn lebten, schienen geradezu enttäuscht, als sie erfuhren, dass der Mörder doch nicht aus ihren Reihen stammte. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung mochte sich partout nicht damit abfinden, dass zwei Unbekannte, zwei von weit her kommende Diebe, die alleinige Verantwortung für das Verbrechen trugen. Und so sagte Mrs. Clare: »Mag sein, dass sie es waren, diese Kerle. Aber damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Eines Tages werden sie der Sache auf den Grund gehen, und dann werden sie auch denjenigen finden, der dahintersteckt. Der Clutter aus dem Weg räumen wollte. Den Drahtzieher .«
Mrs. Hartman seufzte. Sie konnte nur hoffen, dass Myrt sich irrte. Und Mrs. Helm sagte: »Also, wenn Sie mich fragen, ich kann nur hoffen, die beiden bleiben hinter Schloss und Riegel. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie in unserer Nähe sind.«
»Ach, machen Sie sich da mal keine Sorgen, Ma’am«, sagte der Farmer. »Die Jungs haben jetzt wesentlich mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.«
Zwei Autos rasen über einen Highway in Arizona, durch das Land der beifußbewachsenen Steppen – das Land der Tafelberge, der Falken, Klapperschlangen und rot aufragenden Felsen. Dewey sitzt im ersten Wagen, Perry Smith sitzt neben ihm, und Duntz sitzt im Fond. Smith trägt Handschellen, und die Handschellen sind mit einer kurzen Kette am Sicherheitsgurt befestigt – was ihn in seiner Bewegungsfreiheit derart einschränkt, dass er nur mit fremder Hilfe rauchen kann. Wenn er eine Zigarette möchte, muss Dewey sie ihm anzünden und zwischen die Lippen stecken, eine Aufgabe, die der Detective »widerwärtig« findet, handelt es sich dabei doch um eine recht intime Geste – eine Geste, die ihm noch aus der Zeit vertraut ist, als er seine Frau umwarb.
Im Großen und Ganzen ignoriert der Gefangene seine Bewacher und ihre sporadischen Versuche, ihn mit Auszügen aus Hickocks stundenlangem, auf Tonband festgehaltenem Geständnis zu provozieren: »Er sagt, er hätte versucht, Sie davon abzuhalten, Perry. Ohne Erfolg. Er sagt, er hätte Angst gehabt, dass Sie auch ihn erschießen«, und: »Jawoll, Perry. Es ist alles Ihre Schuld. Hickock sagt, er könnte keiner Fliege was zuleide tun.« All das zeitigt bei Smith keinerlei erkennbare Wirkung. Scheinbar ungerührt betrachtet er die Landschaft, liest die holprig gereimten Werbesprüche für Burma-Shave und zählt die Kadaver der erschossenen Kojoten, die die Ranchzäune schmücken.
Ohne auf eine besondere Reaktion zu hoffen, sagt Dewey: »Hickock sagt, Sie wären ein geborener Killer. Er sagt, so was macht Ihnen rein gar nichts aus. Er sagt, vor ein paar Jahren hätten Sie in Las Vegas einen Farbigen mit einer Fahrradkette erschlagen. Nur so aus Jux und Tollerei.«
Zu Deweys Erstaunen schnappt der Gefangene nach Luft. Er dreht und windet sich auf seinem Sitz, bis er durch das Rückfenster den zweiten Wagen sehen und hineinschauen kann: »Von wegen harter Bursche!« Er dreht sich wieder nach vorn und starrt auf das dunkle Asphaltband der Wüstenstraße. »Ich dachte, Sie bluffen bloß. Ich hab Ihnen nicht geglaubt. Dass Dick gesungen hat. Der harte Bursche! Der Mann aus Stahl. Kann keiner Fliege was zuleide tun. Aber Hunde überfahren, das kann er.« Er spuckt aus. »Ich hab noch nie ’nen Nigger umgebracht.« Duntz weiß, dass er die Wahrheit sagt; er hat die Akten der ungeklärten Mordfälle im Raum Las Vegas eingesehen und keinen Hinweis auf eine derartige Tat gefunden. »Ich hab noch nie ’nen Nigger umgebracht.
Das denkt er bloß. Ich wusste immer, wenn wir geschnappt werden, und Dick macht das Maul auf und kotzt sich gründlich aus – ich wusste, dass er dann von dem Nigger anfängt.« Wieder spuckt er aus. »Dick hatte also Angst vor mir? Sehr witzig. Ich lach mich tot. Dabei weiß er gar nicht, dass ich ihn fast mal erschossen hätte.«
Dewey zündet zwei Zigaretten an, eine für sich, eine für den Gefangenen. »Na, dann lassen Sie mal hören, Perry.«
Smith raucht mit geschlossenen Augen und erklärt: »Ich muss nachdenken. Damit ich auch nichts vergesse.« Er schweigt eine Weile. »Also, angefangen hat alles mit einem Brief, den ich in Buhl, Idaho, bekam. Das war im September oder Oktober. Der Brief war von Dick, und er schrieb, er
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