Kaltblütig
Tankstelle …«
Dewey fragt, ob er sich noch an den Namen der Kette erinnern könne.
»Ich glaube, Phillips 66.«
»Und wann war das?«
»So gegen Mitternacht. Dick meinte, bis Holcomb wären es noch sieben Meilen. Den Rest der Strecke redete er ununterbrochen vor sich hin, von wegen hier müsste dies sein und da das – nach der Wegbeschreibung, die er auswendig gelernt hatte. Ich merkte kaum, dass wir durch Holcomb kamen, so klein war der Ort. Wir fuhren über ein Eisenbahngleis. Plötzlich sagte Dick: ›Das ist es, das muss es sein.‹ Es war die Einfahrt zu einem Privatweg, mit Bäumen rechts und links. Dick ging vom Gas und machte die Scheinwerfer aus. Die brauchten wir auch nicht. Weil der Mond schien. Die Nacht war klar – keine Wolke am Himmel, nichts. Nur dieser Vollmond. Es war taghell, und als wir den Weg hinauffuhren, sagte Dick: ›Guck dir das an! Die Scheunen! Das Haus! Ich fress ’nen Besen, wenn der Kerl nicht stinkreich ist.‹ Aber mir kam das Ganze irgendwie verdächtig vor, die Atmosphäre; es war einfach zu viel des Guten. Wir parkten im Schatten eines Baums.
Als wir dasaßen, ging plötzlich ein Licht an – nicht im Haupthaus, sondern in einem Haus etwa hundert Meter links davon. Dick meinte, da wohnt der Knecht; das wüsste er von seiner Skizze. Aber es stünde ein ganzes Stück näher am Haus der Clutters, als er dachte. Dann ging das Licht wieder aus. Mr. Dewey – der Zeuge, von dem Sie gesprochen haben. Meinten Sie damit den Knecht?«
»Nein. Er hat nicht das Geringste gehört. Aber seine Frau pflegte ihr krankes Baby. Er sagte, sie hätten die ganze Nacht kein Auge zugetan.«
»Ein krankes Baby. Ich dachte schon. Nach ein paar Minuten passierte es nämlich gleich noch mal – ein Licht ging an und wieder aus. Und da hätte ich mir wirklich fast ins Hemd gemacht. Ich sagte zu Dick, ich steige aus.
Wenn du das unbedingt durchziehen willst, dann ohne mich. Er ließ den Wagen an, wir machten kehrt, und ich dachte: Gott sei Dank. Ich hab mich immer schon auf meine Eingebung verlassen; sie hat mir mehr als einmal das Leben gerettet. Aber auf halber Höhe der Auffahrt hielt Dick plötzlich an. Er war stocksauer. Ich sah ihm förmlich an, was er dachte: Ich hab dieses Riesending klargemacht, wir sind den ganzen weiten Weg gefahren, und jetzt will dieser Penner kneifen. Er sagte: ›Du denkst wahrscheinlich, ich hätte nicht den Mumm, das allein durchzuziehen. Bei Gott, ich werd dir zeigen, wer hier Mumm hat.‹ Wir hatten eine Flasche Schnaps im Handschuhfach. Wir tranken jeder einen Schluck, und ich sagte: ›Na gut. Ich bin dabei.‹ Also drehten wir wieder um. Und parkten an derselben Stelle wie zuvor. Im Schatten eines Baums. Dick streifte seine Handschuhe über; ich hatte meine schon an. Er nahm das Messer und die Taschenlampe. Ich hatte das Gewehr. Im Mondschein wirkte das Haus riesig. Als würde es leerstehen. Ich weiß noch, wie ich dachte: Hoffentlich ist keiner da …«
Dewey sagt: »Aber den Hund haben Sie doch gesehen?«
»Nein.«
»Die Familie hatte einen alten Hund, der Angst vor Gewehren hatte. Wir haben uns gefragt, warum er nicht angeschlagen hat. Es sei denn, er hätte ein Gewehr gesehen und sich im Nu verdrückt.«
»Also, ich habe nichts und niemanden gesehen. Darum habe ich die Geschichte mit dem Augenzeugen ja auch nicht geglaubt.«
»Nicht Augenzeuge. Zeuge. Jemand, dessen Aussage Hickock und Sie mit diesem Fall in Verbindung bringt.«
»Ach. Aha. Aha. Der. Und Dick dachte, dazu hätte er zu viel Schiss. Ha!«
Duntz lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und sagt: »Hickock hatte das Messer. Sie hatten das Gewehr.
Wie sind Sie ins Haus gekommen?«
»Die Tür war offen. Ein Seiteneingang. Er führte in Mr. Clutters Büro. Wir warteten im Dunkeln ab. Horchten.
Kein Ton. Nur der Wind. Draußen ging ein ziemlich heftiger Wind. Er strich durch die Bäume, und das Laub raschelte. Vor dem Fenster hing eine Jalousie, durch die der Mond schien. Ich schloss die Jalousie, und Dick schaltete die Taschenlampe ein. Wir sahen den Schreibtisch. Der Safe war angeblich in der Wand direkt hinter dem Schreibtisch, aber wir konnten ihn nicht finden. Die Wand war holzgetäfelt, überall Bücher und gerahmte Landkarten, und auf einem Regal entdeckte ich ein teures Fernglas. Das wollte ich mitgehen lassen, wenn wir wieder gingen.«
»Und? Haben Sie es mitgenommen?«, fragt Dewey, denn ein Fernglas hatte niemand vermisst.
Smith nickte. »Wir haben es in Mexiko
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