Kaltblütig
Verdacht geschöpft, hätte er sich garantiert zur Wehr gesetzt. Er war zwar ein friedfertiger Mensch, aber stark und alles andere als ein Feigling. Herb, da war sich sein Freund Alvin Dewey sicher, hätte Bonnies Leben und das Leben seiner Kinder mit Zähnen und Klauen verteidigt.
»Dick stand vor dem Badezimmer Wache, während ich das Haus erkundete. Ich filzte das Zimmer des Mädchens und fand ein winziges Portemonnaie – wie von einer Puppe. Darin steckte ein Silberdollar. Ich ließ ihn aus Versehen fallen, und er rollte über den Fußboden. Unter einen Stuhl. Ich musste auf die Knie gehen. Und in dem Moment hatte ich auf einmal das Gefühl, ich stehe neben mir und schaue mir zu, wie in einem bekloppten Film. Es war widerlich. Zum Kotzen. Erst Dick und sein dämliches Gerede vom Safe dieses reichen Farmers, und jetzt kroch ich auf dem Bauch, um einem Kind einen Silberdollar zu stehlen. Einen Dollar. Und ich krieche auf dem Bauch, um ihn zu finden.«
Perry knetet seine Knie, bittet die Detectives um ein Aspirin, dankt Duntz für die Tablette, zerkaut sie und spricht weiter. »Aber so ist das nun mal. Man nimmt, was man kriegen kann. Dann filzte ich das Zimmer des Jungen. Nicht ein Cent. Aber ein kleines Kofferradio, und das nahm ich mit. Da fiel mir das Fernglas wieder ein, das ich in Mr. Clutters Büro gesehen hatte. Ich ging nach unten und holte es mir. Ich brachte das Fernglas und das Radio raus zum Wagen. Es war kalt, und der Wind und die Kälte taten mir gut. Der Mond schien so hell, dass man meilenweit sehen konnte. Und ich dachte: Wieso hau ich nicht einfach ab? Stell mich an den Highway und halt den Daumen raus? Ich wollte ums Verrecken nicht in dieses Haus zurück. Und trotzdem – wie soll ich das erklären?
Ich kam mir vor, als war ich gar nicht mit von der Partie.
Eher so, als würde ich eine Geschichte lesen. Und wie das mit Geschichten so ist, wollte ich wissen, wie sie ausging.
Also ging ich wieder nach oben. Und dann, warten Sie – mhhm, dann haben wir sie gefesselt. Zuerst Mr. Clutter.
Wir haben ihn aus dem Bad geholt, und ich hab ihm die Hände zusammengebunden. Dann hab ich ihn runtergebracht, in den Keller.«
Dewey sagt: »Allein und unbewaffnet?«
»Ich hatte das Messer.«
Dewey sagt: »Und Hickock blieb oben und bewachte die anderen?«
»Damit sie kein Theater machten. Außerdem brauchte ich keine Hilfe. Ich weiß, wie man mit einem Seil umgeht.«
Dewey sagt: »Haben Sie die Taschenlampe benutzt, oder haben Sie das Licht im Keller angemacht?«
»Das Licht. Der Keller war in zwei Räume unterteilt. Der eine schien so eine Art Spielzimmer zu sein. Ich brachte Clutter nach nebenan, in den Heizungskeller. An der Wand lehnte ein großer Pappkarton. Ein Matratzenkarton. Ich konnte ihn ja wohl schlecht bitten, sich auf dem kalten Boden auszustrecken, da habe ich den Matratzenkarton genommen, ihn platt getreten und Clutter gesagt, er soll sich drauflegen.«
Der Fahrer wirft seinem Kollegen im Rückspiegel einen Blick zu, und Duntz nickt kaum merklich, wie zum Zeichen der Anerkennung. Dewey war von Anfang an der Meinung gewesen, der Matratzenkarton sei nur auf den Fußboden gelegt worden, um es Mr. Clutter bequem zu machen, und aus anderen, ähnlich bruchstückhaften Hinweisen, die auf ebenso paradoxes wie inkonsequentes Mitleid deuteten, hatte der Detective geschlossen, dass zumindest einer der Killer so etwas wie Gefühle kannte.
»Ich fesselte ihm erst die Hände und band ihm dann Hände und Füße zusammen. Ich fragte ihn, ob es zu fest war, und er sagte nein, aber wir möchten doch bitte seine Frau in Ruhe lassen. Es war nicht nötig, sie zu fesseln – sie würde weder schreien noch versuchen, aus dem Haus zu laufen. Er sagte, sie wäre schon seit Jahren krank und gerade auf dem Weg der Besserung, da könnte ein Erlebnis wie dieses leicht zu einem Rückschlag führen.
Ich weiß, über so was lacht man nicht, aber ich konnte einfach nicht anders – dass ausgerechnet er von ›Rückschlag‹ redet.
Als Nächstes holte ich den Jungen. Erst sperrte ich ihn zu seinem Vater in den Heizungskeller. Und fesselte ihn mit den Händen an ein Dampfrohr unter der Decke. Aber das war mir irgendwie zu riskant. Er hätte sich eventuell befreien und seinen alten Herrn losbinden können oder umgekehrt. Also schnitt ich ihn ab und brachte ihn ins Spielzimmer, da stand eine bequeme Couch. Ich band seine Füße an das Fußende der Couch, fesselte ihm die Hände, führte das Seil zurück nach oben
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