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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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wurden Spuren von Arsen gefunden? Und angenommen, man konnte ihm den Kauf des Gifts nachweisen? Gegen Ende des Sommers fasste er einen neuen Plan. Er feilte fast drei Monate daran.
    Schließlich, an einem frostklirrenden Abend Ende November, war er zur Tat bereit.
    Thanksgiving war vorbei, und Lowell Lee war, wie Jennie Marie, ein intelligentes, aber wenig attraktives Mädchen, das ein College in Oklahoma besuchte, über die Feiertage nach Hause gekommen. Am Abend des 28.
    November gegen sieben Uhr saß Jennie Marie mit ihren Eltern im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat; Lowell Lee hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen und las das letzte Kapitel der Brüder Karamasow. Als er die Lektüre beendet hatte, rasierte er sich, zog seinen besten Anzug an und lud sodann ein halbautomatisches Gewehr und einen Luger-Revolver, beide vom Kaliber 22. Er schob den Revolver in ein Hüftholster, schulterte das Gewehr und schlenderte über den Flur in das dunkle, allein vom Flimmern des Fernsehers erhellte Wohnzimmer. Er machte Licht, legte das Gewehr an, drückte ab und traf seine Schwester zwischen die Augen; sie war sofort tot. Er schoss dreimal auf seine Mutter und zweimal auf seinen Vater. Die Mutter wankte mit weit aufgerissenen Augen und ausgestreckten Armen auf ihn zu; sie versuchte zu sprechen und öffnete den Mund, doch Lowell Lee sagte:
    »Halt’s Maul.« Um sie endgültig zum Schweigen zu bringen, feuerte er weitere dreimal auf sie. Mr. Andrews aber lebte noch; schluchzend und wimmernd kroch er mit letzter Kraft über den Flur in Richtung Küche, doch an der Schwelle zur Küche zog der Sohn seinen Revolver, zielte und schoss das Magazin leer, dann lud er nach und leerte es ein zweites Mal; insgesamt siebzehn Kugeln trafen seinen Vater.
    Andrews soll geäußert haben, er habe »nichts dabei empfunden. Die Zeit war reif, und ich habe getan, was ich tun musste. Weiter nichts«. Nach der Tat schob er eines seiner Zimmerfenster hoch und hängte das Fliegengitter aus, dann streifte er durchs Haus, durchwühlte sämtliche Schubladen und verstreute den Inhalt, um einen Einbruchdiebstahl vorzutäuschen. Schließlich nahm er den Wagen seines Vaters und fuhr vierzig Meilen über schneeglatte Straßen nach Lawrence zur University of Kansas; unterwegs hielt er auf einer Brücke, zerlegte seine tödlichen Waffen und warf die Einzelteile in den Kansas River. Selbstverständlich diente diese kleine Reise einzig und allein dem Zweck, sich ein Alibi zu verschaffen. Als Erstes fuhr er auf den Campus, zu dem Haus, in dem er wohnte; er unterhielt sich mit der Wirtin, erklärte ihr, dass er seine Schreibmaschine holen wolle und für die Fahrt von Wolcott nach Lansing wegen des schlechten Wetters fast zwei Stunden gebraucht habe. Danach ging er in ein Kino, wo er gegen seine Gewohnheit mit einer Platzanweiserin und einer Süßwarenverkäuferin plauderte. Um elf, als der Film zu Ende war, fuhr er zurück nach Wolcott. Der Mischlingshund der Familie erwartete ihn auf der Veranda; da er vor Hunger jaulte, ging Lowell Lee ins Haus, stieg über die Leiche seines Vaters und bereitete ihm eine Schüssel Milchbrei; während sich der Hund darüber hermachte, rief er im Sheriff’s Office an und sagte: »Hier spricht Lowell Lee Andrews, 6040
    Wolcott Drive. Bei uns ist eingebrochen worden …«
    Kurze Zeit später kamen vier Beamte der Wyandotte County Sheriff’s Patrol. Einer der Polizisten, Patrolman Meyers, schilderte die Szene wie folgt: »Wir trafen gegen ein Uhr morgens ein. In allen Zimmern brannte Licht.
    Und dieser dicke, dunkelhaarige Junge, Lowell Lee, saß auf der Veranda und streichelte seinen Hund. Er streichelte ihm den Kopf, und als Lieutenant Ashley den Jungen fragte, was passiert sei, zeigte der gemächlich zur Tür und sagte: ›Sehen Sie selbst.‹« Nachdem sie sich einen Überblick verschafft hatten, riefen die verblüfften Beamten den Leichenbeschauer, den der unerschütterliche Gleichmut des jungen Andrews nicht minder beeindruckte, denn als er ihn nach seinen Wünschen hinsichtlich der Bestattung fragte, antwortete Andrews achselzuckend: » Meinetwegen können Sie mit ihnen machen, was Sie wollen.«
    Bald darauf erschienen zwei Detectives und begannen mit der Befragung des einzigen Überlebenden der Familie. Obwohl sie überzeugt waren, dass er log, hörten sie sich seine Geschichte geduldig an: Er sei nach Lawrence gefahren, um seine Schreibmaschine zu holen, dann habe er sich einen Film angesehen, und als er nach

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