Kaltblütig
Menschen um«).
Damals – im April 1960 – warteten in amerikanischen Haftanstalten einhundertneunzig Personen auf ihre Hinrichtung, fünf davon in Lansing, unter ihnen auch die Clutter-Killer. Gelegentlich werden prominente Gefängnisbesucher eingeladen, einen – wie es ein leitender Beamter formuliert – »kurzen Blick in den Todestrakt zu werfen«. Wer diese Einladung annimmt, bekommt einen Wärter zugeteilt, der den Fremden über den eisernen Laufsteg vor den Todeszellen führt und ihm die Verurteilten mit – wohl witzig gemeinter – Förmlichkeit persönlich vorstellt. »Und das«, erklärte er 1960 einem Besucher, »das ist Mr. Perry Edward Smith. Der Herr gleich nebenan ist Mr. Smiths bester Freund, Mr. Richard Eugene Hickock. Hier drüben haben wir Mr. Earl Wilson.
Und nach Mr. Wilson darf ich Sie mit Mr. Bobby Joe Spencer bekannt machen. Und unseren letzten Herrn hier haben Sie gewiss sogleich als den berühmten Mr. Lowell Lee Andrews erkannt.«
Earl Wilson, ein stämmiger, mit Vorliebe Kirchenlieder singender Neger, war wegen Entführung, Vergewaltigung und Misshandlung einer jungen Weißen zum Tode verurteilt worden; das Opfer hatte zwar überlebt, war seither jedoch schwerbehindert. Bobby Joe Spencer, weiß, ein verweichlichter junger Mann, hatte gestanden, eine ältere Frau aus Kansas City ermordet zu haben, die Wirtin der Pension, in der er wohnte. Bevor er im Januar 1961 aus dem Amt schied, hatte Gouverneur George Docking, der die Wiederwahl (nicht zuletzt wegen seiner Einstellung zur Todesstrafe) verloren hatte, die Urteile dieser beiden Männer in lebenslange Haftstrafen umgewandelt, sodass sie in sieben Jahren einen Bewährungsantrag stellen konnten. Bobby Joe Spencer aber mordete schon bald ein zweites Mal: Mit einer »Schneide« erstach er einen jungen Mitgefangenen, der mit ihm um die Zuneigung eines älteren Häftlings buhlte (»Zwei Schwuchteln, die sich um ihren Sugardaddy streiten, weiter nichts«, meinte ein Wärter). Diese Tat brachte Spencer ein zweites Todesurteil ein. Aber die Öffentlichkeit nahm wenig Notiz von Wilson oder Spencer; im Unterschied zu Smith und Hickock oder Lowell Lee Andrews, dem fünften Mann im Todestrakt, hatte die Presse sie weitestgehend ignoriert.
Bis vor zwei Jahren hatte Andrews, ein hünenhafter, schwachsichtiger Junge von achtzehn Jahren, der eine Hornbrille trug und fast 135 Kilo auf die Waage brachte, an der University of Kansas Biologie studiert und mit erstklassigen Leistungen geglänzt. Obwohl er ein Einzelgänger war, verschlossen und selten gesprächig, hielten ihn seine Bekannten, sowohl an der Universität als auch in seinem Heimatort Wolcott, Kansas, für einen außerordentlich freundlichen und »sanftmütigen« Menschen (später erschien in einer Lokalzeitung ein Artikel über ihn mit der Überschrift: »Der netteste Junge von Wolcott«).
Doch im Innern des stillen jungen Studenten lauerte ein zweites Ich, von dem niemand etwas ahnte, mit einer verkümmerten Seele und einem verwirrten Geist, beherrscht von kalten Gedanken, die in grausamen Bahnen verliefen. Seine Familie – die Eltern und seine etwas ältere Schwester Jennie Marie – wären erstaunt gewesen, hätten sie gewusst, welchen Tagträumen Lowell Lee im Sommer und Herbst des Jahres 1958 nachhing; der hochbegabte Sohn, der heißgeliebte Bruder trug sich mit dem Plan, sie alle zu vergiften.
Andrews senoir war ein wohlhabender Farmer; er hatte nicht viel Geld auf der Bank, doch er besaß Land im Wert von annähernd zweihunderttausend Dollar. Der Wunsch, diesen Besitz zu erben, war offenkundig das Motiv für Lowell Lees Absicht, seine Familie auszulöschen. Denn der heimliche Lowell Lee, der sich hinter der Fassade des scheuen Kirchgängers und Biologiestudenten verbarg, hielt sich für ein Verbrechergenie mit einem Herzen aus Eis: Er wollte seidene Gangsterhemden tragen und knallrote Sportwagen fahren; er wollte mehr sein als nur der bebrillte Bücherwurm, der übergewichtige, jungfräuliche Schuljunge; und obwohl er keinerlei Abneigung gegen seine Familie hegte, jedenfalls nicht bewusst, schien ihre Ermordung ihm der schnellste und zweckmäßigste Weg, seine krankhaften Fantasien in die Tat umzusetzen. Arsen war die Waffe seiner Wahl; nachdem er die Opfer vergiftet hätte, würde er sie in ihre Betten legen und das Haus niederbrennen, in der Hoffnung, dass die Versicherung auf Unfalltod erkannte.
Ein Detail jedoch machte ihm Sorgen: Angenommen, bei der Obduktion der Leichen
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