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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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größer und entpuppte sich schließlich als ein blauer Dodge mit einem dünnen, kahlköpfigen Mann am Steuer. Perfekt. Dick hob die Hand und winkte.
    Der Dodge bremste, und Dick verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. Der Wagen kam fast, aber nicht ganz zum Stehen, und der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster und musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie boten offenbar einen beängstigenden Anblick. (Nach fünfzig Stunden Busfahrt von Mexico City nach Barstow, Kalifornien, und einem halben Tagesmarsch durch die Mojave-Wüste starrten die beiden unrasierten Tramper buchstäblich vor Dreck.) Der Wagen machte einen Satz und schoss davon.
    Dick legte die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte: »Schwein gehabt!« Dann lachte er und hievte sich den Koffer auf die Schulter. Ihn konnte so schnell nichts erschüttern, weil er, wie er später zu Protokoll gab, »gottfroh war, endlich wieder in den guten alten USA zu sein«. Sei’s drum. Der nächste Wagen kam bestimmt.
    Perry holte seine Mundharmonika hervor (die er gestern in einem Barstower Gemischtwarenladen gestohlen hatte) und spielte die ersten Takte des Liedes, das inzwischen zu ihrer »Marschmusik« geworden war; es war eines von Perrys Lieblingsliedern, und er hatte Dick alle fünf Strophen beigebracht. Im Gleichschritt, Seit’ an Seit’, wanderten sie den Highway entlang und sangen: »Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord; He is trampling out the vintage where the grapes of wrath are stored.« Laut hallten ihre harten, jungen Stimmen durch die stille Wüste: »Glory! Glory! Hallelujah! Glory! Glory!
    Hallelujah!«

 
    3
     
A N T W O R T
     
    Der junge Mann hieß Floyd Wells, und er war klein und praktisch kinnlos. Er hatte sich in mehreren Berufen versucht, als Soldat, Rancharbeiter, Mechaniker und schließlich auch als Dieb, was ihm eine dreibis fünfjährige Haftstrafe im Kansas State Penitentiary eingebracht hatte. Am Abend des 17. November 1959, einem Dienstag, lag er mit aufgesetztem Radiokopfhörer in seiner Zelle. Er hörte eine Nachrichtensendung, doch die Stimme des Sprechers und das fade Einerlei der Tagesereignisse (»Bundeskanzler Konrad Adenauer traf heute zu Gesprächen mit Premierminister Harold Macmillan in London ein … Präsident Eisenhower und Dr. T. Keith Glennan kamen überraschend zu einer siebzigminütigen Unterredung über Probleme und Finanzierung der Erforschung des Weltraums zusammen«) lullten ihn allmählich in den Schlaf. Seine Müdigkeit verflog jedoch im Nu, als er hörte: »Die mit der Untersuchung des tragischen Mordes an vier Mitgliedern der Familie Herbert W. Clutter beauftragten Beamten haben um Hinweise aus der Bevölkerung gebeten, die zur Aufklärung dieses rätselhaften Verbrechens beitragen könnten.
    Clutter, seine Frau und ihre beiden halbwüchsigen Kinder wurden am frühen Sonntagmorgen in ihrem Haus bei Garden City ermordet aufgefunden. Alle vier waren gefesselt, geknebelt, und man hatte ihnen mit einem Gewehr Kaliber 12 in den Kopf geschossen. Die Ermittlungsbehörden suchen immer noch nach einem Motiv für das Verbrechen, das Logan Sanford, Leiter des Kansas Bureau of Investigation, als das abscheulichste in der Geschichte des Staates Kansas bezeichnete. Clutter, ein prominenter Weizenfarmer und ehemaliges Mitglied des von Präsident Eisenhower ins Leben gerufenen Federal Farm Credit Board …«
    Wells war wie vor den Kopf geschlagen. »Ich konnte es kaum glauben«, schilderte er seine erste Reaktion. Dabei hatte er allen Grund, es zu glauben, denn nicht nur kannte er die ermordete Familie, er wusste auch, wer sie ermordet hatte.
    Angefangen hatte alles vor elf Jahren, im Herbst 1948, als Wells neunzehn gewesen war. Damals »bin ich kreuz und quer durchs Land gezogen und hab mich mit Aushilfsjobs über Wasser gehalten«, erinnerte er sich.
    »Und so fand ich mich eines schönen Tages in West-Kansas wieder. An der Grenze zu Colorado. Ich suchte Arbeit, hörte mich um und bekam den Tipp, es doch mal bei Mr. Clutter auf der River Valley Farm zu probieren.
    Und siehe da, er stellte mich ein. Ich blieb ungefähr ein Jahr – jedenfalls den ganzen Winter über –, bis mich das Fernweh packte und ich weiterzog. Weil ich mal wieder was anderes machen wollte. Und nicht etwa wegen irgendwelchen Streitereien mit Mr. Clutter. Er behandelte mich gut, genau wie alle anderen, die für ihn arbeiteten; wenn man zum Beispiel vor dem Zahltag mal ein bisschen klamm war, steckte er einem immer einen Zehner

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