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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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namens Tunif arbeitete damals auf der Finnup-Ranch. Walter Tunif. Wie sich rausstellte, fuhr er einen gestohlenen Wagen. Und war obendrein ein Deserteur, der sich heimlich aus Fort Bliss, drüben in Texas, davongeschlichen hatte. Ein Halunke, wie er im Buche steht, und die meisten trauten ihm nicht über den Weg. Eines Abends fährt der Sheriff – Orlie Hefner hieß er und war ein großartiger Sänger, wussten Sie, dass er im Himmelschor mitsingt? Eines Abends also fährt der Sheriff raus zur Finnup-Ranch, um Tunif auf den Zahn zu fühlen. Dritter August. Heiß wie die Hölle. Und was macht Walter Tunif? Schießt dem Sheriff mitten ins Herz.
    Der arme Orlie war tot, noch ehe er am Boden lag. Und das Schwein, das ihn auf dem Gewissen hatte, schnappte sich eins von Finnups Pferden und ritt am Fluss entlang nach Osten. Es sprach sich schnell herum, und die Männer aus der Umgebung bildeten einen Suchtrupp und hefteten sich an seine Fersen. Am nächsten Morgen hatten sie ihn. Der gute alte Walter Tunif; hatte nicht mal mehr Zeit, Hallo zu sagen. So sauer waren die Jungs. Sie haben ihn einfach über den Haufen geknallt.«
    Deweys erste Begegnung mit dem Verbrechen in Finney County fand 1947 statt. In seinen Unterlagen heißt es dazu: »Der Creek-Indianer John Carlyle Polk, 25, wohnhaft Muskogee, Okla. tötete die weiße Kellnerin Mary Kay Finley, 40, wohnhaft Garden City. Polk erstach sie am 9.5.47 mit dem abgeschlagenen Hals einer Bierflasche in einem Zimmer im Copeland Hotel in Garden City, Kansas.« Klare Worte über einen ebenso klaren Fall. Zwei der drei anderen Morde, in denen Dewey seither ermittelt hatte, lagen ähnlich unkompliziert (1.11.52: Zwei Eisenbahnarbeiter berauben und töten einen älteren Farmer; 7.6.56: ein Betrunkener tritt und prügelt seine Frau zu Tode), der dritte jedoch entbehrte, so wie Dewey ihn einmal in geselliger Runde geschildert hatte, nicht einer gewissen Originalität. »Es begann im Stevens Park. Da gibt es einen Konzertpavillon, und unter dem Pavillon ist eine Herrentoilette. Ein Mann namens Mooney lief durch den Park. Er kam irgendwo aus North Carolina, ein Fremder auf der Durchreise. Und als er auf die Toilette ging, folgte ihm jemand – ein Junge aus der Gegend, Wilmer Lee Stebbins, zwanzig Jahre alt. Hinterher behauptete Wilmer Lee, Mr. Mooney hätte ihm ein unsittliches Angebot gemacht. Und darum hätte er ihn ausgeraubt, niedergeschlagen und seinen Kopf auf den Zementboden geschmettert, und als er dann immer noch lebte, drückte er Mr. Mooneys Kopf in eine Toilettenschüssel und spülte so lange, bis Mooney ertrunken war. Mag alles sein. Aber für Wilmer Lees weiteres Verhalten gibt es keine Erklärung. Zuerst vergrub er die Leiche zwei Meilen nordöstlich von Garden City.
    Tags darauf buddelte er sie wieder aus und verscharrte sie vierzehn Meilen südwestlich der Stadt. Und so ging es immer weiter, ausbuddeln, eingraben, ausbuddeln, eingraben. Wie ein Hund mit einem Knochen – Wilmer Lee wollte Mr. Mooney einfach nicht in Frieden ruhen lassen. Schließlich grub er ein Grab zu viel; dabei wurde er gesehen.« Diese vier Fälle bildeten die Summe der Erfahrung, die Dewey in puncto Mord bislang gesammelt hatte, und waren lediglich ein laues Lüftchen im Vergleich mit dem Orkan des Falles Clutter.
     
    Dewey schob den Schlüssel in die Vordertür des Clutter-Hauses. Drinnen war es warm, denn die Heizung war noch in Betrieb, und die nach mit Zitronenduft versetztem Bohnerwachs riechenden Zimmer schienen nur vorübergehend leerzustehen; als ob heute Sonntag sei und die Familie jeden Augenblick vom Kirchgang wiederkehren könne. Obgleich die Erbinnen, Mrs. English und Mrs. Jarchow, eine Wagenladung Kleidung und Möbel hatten abtransportieren lassen, wirkte das Haus nach wie vor bewohnt. Im Wohnzimmer stand ein Notenblatt – »Comin’ Thro’ the Rye« – aufgeschlagen auf dem Klavier.
    Im Flur hing Herbs schweißfleckiger grauer Stetson-Hut an einem Haken. Oben in Kenyons Zimmer lag die Brille des toten Jungen auf einem Regal über dem Bett, und das Licht spiegelte sich schimmernd in den Gläsern.
    Der Detective ging von Zimmer zu Zimmer. Er war schon oft durchs Haus gestreift; fast täglich kam er hier heraus und fand diese Besuche in gewissem Sinne sogar angenehm, denn anders als bei sich zu Hause oder im Sheriff’s Office, wo Tumult und Trubel herrschten, war es hier friedlich. Die Telefone, deren Kabel noch immer durchgeschnitten waren, schwiegen. Ringsum nichts als die

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