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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Mensch nimmt das Gequatsche ernst. Deswegen konnte ich’s ja auch kaum glauben, als ich es im Radio hörte. Trotzdem ist es passiert. Genau so, wie Dick gesagt hatte.«
    Das war Floyd Wells’ Geschichte, die er vorläufig jedoch für sich behielt. Er hatte Angst, sie zu erzählen, denn wenn die anderen Häftlinge dahinterkamen, dass er dem Anstaltsleiter Informationen hinterbrachte, war sein Leben, wie er sich auszudrücken pflegte, »keinen toten Kojoten mehr wert«. Eine Woche verging. Er hörte eifrig Radio, verfolgte die Presseberichte – und stieß dabei auf die Meldung, dass ein Lokalblatt aus Kansas, die Hutchinson News, eine Belohnung von tausend Dollar für jeden Hinweis ausgesetzt hatte, der zur Ergreifung und Verurteilung des oder der Schuldigen im Falle Clutter führte. Ein interessanter Artikel; fast hätte Wells geredet.
    Aber seine Angst war immer noch zu groß, und sie galt nicht allein den anderen Inhaftierten. Es war schließlich durchaus möglich, dass man ihn wegen Beihilfe anklagte.
    Immerhin war er derjenige, der Dick den Weg zur Tür der Clutters gewiesen hatte; er musste also von Dicks Absichten gewusst haben. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, seine Lage war verzwickt, seine Rechtfertigung nicht allzu glaubhaft. Und so schwieg er, und es vergingen noch einmal zehn Tage. Auf den November folgte der Dezember, und den immer kürzeren Zeitungsmeldungen zufolge (im Radio kam das Thema nicht mehr vor) waren die Ermittler der Lösung des Falles keinen Schritt näher als am Morgen der grausigen Entdeckung. Aber er wusste Bescheid. Schließlich, gequält von dem Bedürfnis, es »irgendjemand zu erzählen«, vertraute er sich einem Mitgefangenen an. »Ein guter Freund. Katholik. Sehr religiös. Er fragte: ›Und was hast du jetzt vor, Floyd?‹ Tja, sagte ich, das wüsste ich auch nicht so genau – was er mir denn raten würde? Er meinte, ich sollte zu den richtigen Leuten gehen und mir die ganze Sache von der Seele reden. Es müsste ja nicht gleich jeder mitkriegen, dass ich derjenige bin, welcher. Er würde das schon deichseln. Und so ließ er dem stellvertretenden Direktor am nächsten Tag ausrichten, dass ich ihn sprechen wollte. Und ihm, wenn er mich unter einem Vorwand in sein Büro ruft, eventuell verraten könnte, wer die Clutters ermordet hat. Prompt rief der Stellvertretende mich zu sich. Ich hatte Angst, aber ich dachte an Mr. Clutter, der mich immer gut behandelt und mir zu Weihnachten sogar mal ein kleines Portemonnaie geschenkt hatte, mit fünfzig Dollar drin. Ich sprach erst mit dem Stellvertretenden. Und dann mit dem Direktor.
    Und noch während ich dasaß, in Direktor Hands Büro, griff er zum Telefon …«
     
    Am anderen Ende der Leitung meldete sich Logan Sanford. Sanford lauschte, legte auf, erteilte mehrere Befehle und rief dann Alvin Dewey an. Als Dewey an diesem Abend sein Büro im Amtsgericht von Garden City verließ, hatte er einen DIN-A4-Umschlag bei sich.
    Als Dewey nach Hause kam, stand Marie in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Kaum war er in der Tür erschienen, bestürmte sie ihn auch schon mit den Vorfällen des Tages. Der Kater der Familie hatte den Cockerspaniel von gegenüber angefallen und ihn dabei am Auge schwer verletzt. Und Paul, ihr Neunjähriger, war vom Baum gestürzt. Dass er noch lebte, grenzte an ein Wunder. Und dann war ihr Zwölfjähriger, Alvin jr. in den Garten gegangen, um Abfall zu verbrennen, und hatte dabei ein Feuer entfacht, das auf die Nachbarhäuser überzugreifen drohte. Irgendjemand – wer, wusste sie nicht – hatte tatsächlich die Feuerwehr gerufen.
    Während seine Frau ihm diese unschönen Episoden schilderte, schenkte Dewey zwei Tassen Kaffee ein.
    Plötzlich hielt Marie mitten im Satz inne und musterte ihn. Sein Gesicht war gerötet, und sie sah ihm an, dass er bester Laune war. »Ach, Alvin. Liebling«, sagte sie. »Gibt es gute Neuigkeiten?« Wortlos reichte er ihr den DIN-A4-Umschlag. Sie hatte nasse Hände; sie trocknete sie ab, setzte sich an den Küchentisch, trank einen Schluck Kaffee, öffnete den Umschlag und zog zwei Bilder hervor, das eines blonden jungen Mannes und das eines dunkelhaarigen, dunkelhäutigen jungen Mannes – »Verbrecherfotos« der Polizei. Den Aufnahmen waren halb verschlüsselte Taterbeschreibungen beigelegt. Die des hellhaarigen Mannes lautete:
     
    Hickock, Richard Eugene (w, m) 28. KBI 97 093; FBI 859 273 A. Wohnhaft: Edgerton, Kansas. Geburtsdatum: 6.6.31. Geburtsort: K.C.

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