Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
Vom Netzwerk:
wäre auch mal eine Idee für ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Allerdings passt jemand mit seinem schrankartigen Körperbau in keine normale Größe. Außerdem, was solls. Er fühlt sich wohl drin.
    »Hallo. Na, wartet ihr schon lange?«
    »Nein. Sag mal, was ist denn jetzt schon wieder mit deiner Hose?«
    »Ach weißt du, Mama, die Nadeln sind da dauernd rausgefallen.«
    »Dann krempel das Bein doch wenigstens nach innen. Wie sieht denn das sonst aus? Wir sind hier im Theater.«
    Das gibts doch nicht. Mein Vater kommt im Karojackett, aber ich muss mir Modekritik anhören.
    »Hey, das sieht ja wohl immer noch tausendmal besser aus als die ganzen Hängepopohosen hier.«
    »Die haben wenigstens gleich lange Hosenbeine.«
    »Na komm, Gerlinde, ich glaube, heute ist das wirklich egal.«
    Mein Vater lässt fasziniert seine Blicke über die Hiphopper streifen.
    »Du weißt ja, Oliver, ich hatte in meiner Schulzeit auch meine Bande…«
    »Jetzt fang nicht schon wieder mit deinen vermeintlichen Heldengeschichten an, Bruno.«
    »Will ich gar nicht. Aber man kann es doch auch nicht wegdiskutieren, dass Feindschaften und Kampf immer eine Rolle in unserem Leben spielen. Selbst in unserer Zivilgesellschaft.«
    »Hey Papa, kann es irgendwie sein, dass du jetzt auch gerne Hiphopper wärst?«
    »Ich? Bin ich zu alt für. Aber ich sage immer, es ist nicht schlimm, wenn man sich mal schlagen muss. Schlimm ist nur, wenn man es aus den falschen Gründen tut.«
    »Ich sag dir, hier schlägt sich heute keiner, Papa. Das wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
    »Meinst du?«
    »Sei nicht enttäuscht.«
    »Ich und enttäuscht? Was denkst du eigentlich von mir?«
    »Hab ich nicht ernst gemeint. Das Schlimme an Krieg ist ja, dass man nicht mehr aufhören kann.«
    »Ja, genau so ist das.«
    Wir gehen die Treppe zum ersten Rang hoch und setzen uns. Im Theatersaal ist die Stimmung eigentlich ganz normal. Die Hängepopohosen sieht man nicht mehr, sobald sich die Jungs hingesetzt haben. Irgendwie scheint ihnen der große Raum so etwas wie Ehrfurcht einzuflößen.
    »Ich hatte noch nie so einen guten Platz im Theater. Du musst ja ein Vermögen ausgegeben haben.«
    »Iwo, die hatten alle Karten heruntergesetzt, weil sie Angst hatten, dass sie drauf sitzen bleiben. Konnte ja keiner ahnen, dass dann zum Schluss noch der große Anti-Bushido-Hiphopper-Ansturm kommt.«
    Mein Vater hat seine Lesebrille rausgeholt und studiert gemeinsam mit meiner Mutter das Programm. Ich lehne mich zurück und versuche, mich zu entspannen. Ja, morgen ist die Aufnahmeprüfung. Kein Problem. Ich gehe einfach rein und tue so, als ob das ein Scherz war, dass ich Godot als Rolle ausgewählt habe. Und dann spreche ich den Vladimir. Den Text kann ich, und der Rest hängt eh von der Tagesform und der Laune der Jury ab. Und wenns nicht klappt, vielleicht umso besser. Wäre mal ein Anlass, sich zu erkundigen, was es denn sonst noch so an Schauspielschulen in Deutschland gibt. Täte mir vielleicht sowieso ganz gut, endlich mal aus Berlin raus… Moment mal.
    »He, pst, Mama, Papa, da…«
    »Ja, was denn?«
    »Ach, nichts, hab mich getäuscht.«
    »Getäuscht?«
    »Na, ähm, ich dachte, da unten sitzt Tante Paula.«
    Nein, ich glaube, es ist doch besser, wenn ich ihnen nicht erzähle, dass direkt vor uns Claus Peymann sitzt. Diskreter Flüsterton gehört nicht zu ihren Stärken, und wenn ich jetzt erst mal lang und breit hätte erklären müssen, wer Claus Peymann ist, wären sicher irgendwann viel zu laute Zwischenbemerkungen so in der Art »Aber warum ist der Herr Breimann jetzt nicht bei seinen Schauspielern?« oder »Herr Peykamm sieht aber gar nicht nach Theaterchef aus« gekommen. Abgesehen davon hätte mein Vater ihm bestimmt auch noch die Hand geschüttelt und verkündet, dass das hier sein Sohn sei und dass der auch irgendwie gerne Schauspieler werden möchte. Lieber nicht.
    Das Stück rollt los. Ich vergesse schnell alles um mich herum und lasse mich in den Bann des Leichtgewichthalunken Arturo Ui und dessen Weg nach oben ziehen. Erst zur Pause erinnere ich mich wieder, dass ich von meinen Eltern und Claus Peymann eingekreist bin. Wir schieben uns mit der Menge ins Foyer. Dort diskutieren bereits diverse Hiphopper-Grüppchen eifrig darüber, ob es Parallelen zwischen Arturo Ui und Hitler gibt. Von Bushido spricht keiner mehr. Schade, dass Brecht das nicht miterlebt. Hätte ihm gefallen.
    Mein Vater hat zwei Pils und einen Weißwein besorgt. Wir trinken und

Weitere Kostenlose Bücher