Kaltduscher
für heute:
10:30 Uhr Onkel Heinz’ Gottesdienst im Berliner Dom
12:15 Uhr Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, erste Runde
13:00 Uhr Treffen mit Julia im Weinbergspark
14:00 Uhr Aussprache mit Herrn Wohlgemuth
Gutes Zeitmanagement sieht anders aus, aber ich hab die Termine nicht gemacht. Hoffentlich passiert nicht irgendwas Unerwartetes. Eins ist schon mal klar. Wenn die mich bei der Aufnahmeprüfung warten lassen, dann lasse ich sie einfach sausen. 13:00 Uhr Julia, Weinbergspark, daran gibts nichts zu rütteln.
Tobi, Gonzo, Francesco, Reto und ich sitzen am Frühstückstisch und besprechen die Taktik für das Gespräch mit Wohlgemuth. Das heißt, Francesco sitzt eigentlich in seinem Büro, aber er ist per Skype auf Tobis Laptopbildschirm zugeschaltet, und Tobi hat den Laptop auf den Emmanuelle-l-bis-4-Stuhl gelegt.
»Ich verlasse mich auf euch, Mädels. Wenn mein Gerichtstermin länger dauert, lasst Herrn Wohlgemuth einfach reden und seid nett. Ich stoße dann dazu.«
»Okay.«
»Gonzo?«
»Ja, ja, okay. Ich bin ja nicht blöd. Ich hör einfach gar nicht hin, wenn er redet.«
»Gut, mien Jung, das ist die richtige Einstellung. Und immer dran denken, solange wir ihn nicht hauen, kann er uns gar nichts.«
»Sollen wir ihm vom Stasi-Opa erzählen?«
»Nein. Den brauche ich als Trumpf im Ärmel. Versteckte Mikrofone in der Wohnung, damit kann man ihm doch wunderschön Angst vor einer Schadensersatzforderung einjagen, findet ihr nicht? Aber so weit muss es gar nicht kommen.«
»Überhaupt, wir sollten die Mikros endlich mal finden. Der Stasi-Opa kann ja immer noch jedes Wort hier mithören… Ach ja, hallo Stasi-Opa, gut gefrühstückt?«
»Darum wird sich ab morgen Herr Wohlgemuth kümmern, genau wie um unser warmes Wasser. Freut euch drauf. So, Pflicht ruft. Wir sehen uns später.«
Francesco verschwindet vom Bildschirm. Tobi schmiert sich den nächsten Toast. Reto steht auf.
»Und ihr denkt wirklirch nircht, dass wirch noch ein wenig putzen sollten?«
»Du, damit machen wir unsere Lage auch nicht besser. Lass das mal den Francesco regeln. Der hat den Mann im Griff.«
»Nun gut. Dann gehe irch mal widrch an meine Arbeit.«
Er verschwindet in seinem Zimmer. Wir knurpsen eine Weile schweigend weiter und gucken uns dabei neue Youtube-Filmchen an.
»Sagt mal, ganz unter uns, ich möchte endlich wissen, was hinter den ganzen Damenbesuchen bei Reto steckt.«
»Na ja, er ist halt ein Sex-Maniac. Einer mit sehr gutem Geschmack. Und er hat den Bogen irgendwie raus. Aber ich bin ihm auf der Spur.«
»Vielleicht ist er auch nur auf der Suche nach der idealen Schamhaarfrisur?«
»Vielleicht sind wir auch einfach zu naiv. Könnte doch sein, dass er einen Begleiterinnen-Service betreibt?«
»Luxus-Zuhälter? Hätte ich ihm nie zugetraut, aber jetzt, wo dus sagst…«
»Also wenn, dann sollten wir es wenigstens wissen.«
»Fällt ja auch ein bisschen auf uns zurück, nicht wahr?«
»Ich darf gar nicht dran denken, was Julia dazu sagen würde.«
»Mjam, okay, wir sollten auf jeden Fall am Ball bleiben.«
Eigentlich würde mich ja noch viel mehr interessieren, ob Amelie wieder mit Gonzo zusammen ist, aber das kann ich ihn jetzt nicht so direkt fragen. Ich halte es auch für eher unwahrscheinlich. Er hat nämlich heute Morgen schon wieder kalt geduscht.
Nach dem Frühstück verteilen wir uns auf die Toiletten. Irgendwie fehlt mir das Klo-Wettrennen ja schon ein bisschen. Ich spüre richtig den Bewegungsmangel. Aber vielleicht ist ja auch bald alles wieder beim Alten. Ich habe jedenfalls den Verdacht, dass Retos Abwasserhebeanlage bald den Löffel abgibt, wenn nicht endlich mal einer die andere Hälfte des Stecherakademie-Buchs rausfischt. Hm. Genau betrachtet muss es wohl heißen, wenn ich nicht bald die andere Hälfte des Stecherakademie-Buchs herausfische. Weiß ja sonst keiner davon.
Okay, nur noch den Terminmarathon heute. Dann geh ich ran. Und die Röhren an der Flurdecke wollten wir ja auch noch besser befestigen. Die wackeln immer noch so wild herum. Aber alles zu seiner Zeit. Am wichtigsten ist, dass wir die Sachen erledigen, die seit der Botschaft des russischen Bauarbeiters anstehen…
*
Wie gestern im Theaterfoyer stehen meine Eltern heute auf den Treppen des Berliner Doms und warten auf mich. Nur dass mein Vater diesmal zum Glück das karierte Jackett zu Hause gelassen hat. Viel zu heiß. Von den Gewittern der letzten Tage ist nichts mehr zu
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