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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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mutmaßen darüber, ob Onkel Heinz heute wohl eine schlaflose Nacht haben wird. Ich überlege kurz, ob ich den beiden doch noch von meiner Aufnahmeprüfung morgen erzählen soll, aber ich lasse es dann. Ist taktisch viel besser, wenn ich sie damit überrasche, dass ich die erste Auswahlrunde schon geschafft habe.
    Es schellt. Wir stellen die Gläser ab und tapsen wieder in Richtung unserer Plätze. Ich mache noch einen kleinen Umweg über die Toilette. Die Hiphopper, die gleichzeitig mit mir pinkeln, sind schon dabei, die erste Hälfte des Arturo Ui in Reimform zusammenzufassen. Bewundernswert. Ich bleibe noch ein wenig länger stehen, um zuzuhören.
    Wenig später betrete ich wieder unsere Loge im ersten Rang.
    Weia.
    In den letzten Tagen habe ich ja wirklich so einiges durchgemacht. Aber ich war noch nicht an einem Punkt, an dem ich mich einfach nur noch ganz weit weg in ein besseres Paralleluniversum gewünscht habe.
    In einem besseren Paralleluniversum würde jetzt nämlich mein Vater nicht Stirn an Stirn mit Claus Peymann stehen und darüber diskutieren, wessen Platz denn das nun eigentlich sei. Ich überlege kurz, ob es gerechtfertigt wäre, wenn ich ihn jetzt einfach über die Brüstung ins Parkett werfe. Natürlich wäre es irgendwie schon recht ungehörig, seinen Vater ins Parkett zu werfen, nur weil er sich in seiner Sitzreihe geirrt hat, aber trotzdem, ich meine, das ist einfach mal Claus Peymann. Und selbst wenn ich es bleiben lasse, ist es überhaupt nicht gesagt, dass das hier unblutig zu Ende geht. Peymann soll schon ganze Schauspieler mit Haut und Haaren aufgegessen haben.
    Ich kralle meine Hände in meine Oberschenkel und sehe, wie mein Vater seine Lesebrille herausholt, seine Eintrittskarte geschickt ins Licht hält und darauf herumzeigt. Claus Peymann holt ebenfalls seine Lesebrille heraus, guckt und zeigt auf eine andere Stelle auf der Eintrittskarte. Für einen kurzen Moment sehen sie fast so aus wie zwei alte Freunde, die auf einem Motorradtrip durch die Alpen die Karte studieren. Schließlich zeigt Peymann auf die Nummern auf den Sitzen. Es dauert noch einen kurzen Moment, aber am Ende lässt sich mein Vater tatsächlich davon überzeugen, dass er eine Reihe zu weit nach vorne geraten ist. Er hält Peymann entschuldigend die Hand hin, der nimmt sie stoisch entgegen und setzt sich wieder. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Saallicht ausgeht. Ich atme durch und haste schnell zu meinem Platz.
    »Wo bleibst du denn? Muss man doch nicht immer so auf den letzten Drücker kommen, oder?«
    »Na ja, war halt ein Riesenandrang auf der Toilette.«
    »Auf der Männertoilette?«
    »Psssssst!«
     
    *
     
    Das Stück ist vorbei, und ich bin auf dem Heimweg. Im Großen und Ganzen muss man wirklich sagen, dass alles viel schlimmer hätte kommen können. Die Konfrontation zwischen Peymann und meinem Vater war die mit Abstand gefährlichste Situation des Abends, und die ging glimpflich aus. Straßenkämpfe gab es überhaupt keine. Die meisten Bushido-Hiphopper hatten anscheinend keine Ahnung, wie lange so ein Theaterstück dauert, und waren gegangen. Gerade mal eine Mini-Schubserei ereignete sich in unserem Blickfeld, und die wurde glücklicherweise von der Polizei beendet, bevor mein Vater eingreifen konnte.
    Trotz dieser glücklichen Fügungen konnte ich es nicht lassen, einiges loszuwerden, sobald wir außer Hörweite des Theaters waren. Ich habe ihn mit eiskalter Stimme darüber aufgeklärt, mit wem er sich da vorhin um den Sitz gebalgt hatte, machte schäbige Bemerkungen über sein Bildungsniveau und kündigte an, dass ich ihm zum nächsten Geburtstag ein Buch mit dem Titel »Hundert Fressen, die man außer Thomas Gottschalk noch kennen sollte« schenken würde. Er war sehr zerknirscht. Ich bin es jetzt auch. »Hundert Fressen, die man außer Thomas Gottschalk noch kennen sollte«. Ich glaube, ich muss mich bei ihm entschuldigen. Zum Glück sehen wir uns ja morgen noch mal bei Onkel Heinz’ Gottesdienst.
    Ich finde mein Handy in der Hosentasche und schalte es wieder ein. Mein Handy findet eine SMS in der Luft und piepst.
    Von Julia! Brav, Handy, gut gefunden.
    alles gute zum geburtstag! reden morgen 13:00 auf der wiese im weinbergspark? ps: es ist nicht das, wonach es aussieht ;-)
    Ich starre verliebt auf die Buchstaben und stelle mir vor, wie jeder Einzelne von ihnen von ihren Fingern getippt worden ist. Habe ich gerade verliebt gesagt? Hm, muss wohl so gewesen sein…

Da kommt was!
     
    Mein Stundenplan

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