Kaltduscher
viel zum Thema »Abstand vom Alltag«. Und was das Thema »Gleicher Geschmack und gleiches Niveau« betrifft, sieht es kurz gefasst so aus: Tobi verfügt über eine umfassende Musikschulbildung, kann Noten lesen, kennt die abendländische Harmonielehre wie seine Hosentasche und bewundert die großen Jazzpianisten. Gonzo weiß nicht einmal, wie Noten aussehen, ist aber ein Genie, hat großartige Ideen, kann alles, was er hört, sofort spielen und tritt das Wah-Wah-Pedal so virtuos wie kein Zweiter. Francesco dagegen hat null Talent und außerdem viel zu gepflegte Finger, um vernünftig Bass zu spielen. Aber wir können nichts machen, denn Basser gibt es in Berlin noch weniger als Schafzüchter. Und Hendrik am Schlagzeug, nun ja, sagen wir mal Dorf-Rock trifft Avantgarde, aber es ist immerhin nett, ihn wenigstens auf diese Weise weiter hin und wieder zu sehen. Auf jeden Fall, der Club, der uns auftreten lässt, muss erst noch eröffnet werden. Und einen Bandnamen haben wir auch immer noch nicht.
Bevor wir uns zur Probe begeben, wird noch ein Bier in kompletter Band-Zusammensetzung getrunken. Dabei stehen wir in meinem Zimmer und meditieren über dem Loch in der Wand.
»Kann man da eigentlich nicht was machen, so juristisch und so?«
»Hm, wie haben die georgischen Schwarzarbeiter denn ausgesehen? Muskulös, behaart und verschwitzt?«
»Mann, Francesco!«
»Krach müsste doch wenigstens eine Zimmerreinigung und eine neue Matratze von Wohlgemuth bezahlt bekommen, oder?«
»Der entzückende kleine Racker mit dem rosa Hemd bezahlt uns höchstens in Form von Tritten in den Po.«
»Also du kümmerst dich drum?«
»Wenn ich mich morgen ganz mutig fühle, vielleicht.«
»Wir können das DJ-Pult für die Party in dem Zimmer hinter dem Loch aufbauen.«
»Geht klar. Paar Bretter, Handkreissäge, Akkuschrauber und fertig.«
Hendrik mal wieder. Ob Schweiz-Reto wirklich in seine Fußstapfen passt?
Als wir endlich losziehen, sitzen immer noch Leute in unserer Küche.
»Wir sind auch gleich weg. Ich trink das hier nur noch schnell aus.«
»Ja, Lukas, das sagst du immer.«
»Heute aber wirklich. Ich muss morgen arbeiten.«
»Das sagst du auch immer.«
Unser Proberaum ist in dem verschrumpelten ehemaligen DDR-Trafohaus, das auf unserem Hof steht. Im Gegensatz zu unserer Wohnung haben wir dafür sogar einen echten Mietvertrag. Hatten wir mit den alten Eigentümern ausgehandelt. Fünf Euro pro Monat, dafür mussten wir selber die alten Elektroanlagen abreißen und auf den Schrott schaffen. Wir brauchten zwei Tage dafür, und wie durch ein Wunder hat sich bei dieser Aktion keiner von uns verletzt. Ist natürlich ein Traum, so ein Proberaum gleich nebenan. Wäre halt nur gut, wenn wir auch Musik machen könnten. Jedes Mal, wenn wir die vier Stücke, die einigermaßen klingen, geprobt und ein Bier getrunken haben und danach weitermachen, frage ich mich schlagartig nach dem Sinn der ganzen Sache. Uns fehlt die Idee, uns fehlt musikalische Reife, uns fehlt ein genialer Stückeschreiber, uns fehlt…
»Wisst ihr, was unser Problem ist?«
»Lass mich überlegen, Gonzo – vielleicht, dass Francescos Bass noch kein einziges Mal in seinem gesamten Bassleben auch nur eine Note genau auf der Eins gespielt hat?«
»Nein, wir müssen das Ganze mal mehr von der Marketing-Schiene her betrachten.«
BRTZL-RAAAAAAACK!!!!
»Francesco, wenn du was rumstöpselst, musst du vorher deinen Amp runterziehen! Kind!«
»Du meinst dieses vorwitzige Knöpfchen, wo Volume drübersteht?«
»Also, wir brauchen ein Etikett für unsere Musik, versteht ihr? Dann tun wir uns bei allem leichter. Beim Vermarkten, beim Stückemachen und überhaupt…«
»Wir haben ja noch nicht mal einen Bandnamen.«
»Wieso? Ist Superhirn schon abgelehnt?«
»Was willst du da eigentlich anschließen, Francesco?«
»Na, ich hab mir hier so ein Effektgerät gekauft. Keine Ahnung, was das kann. Mir hat nur der Name so gut gefallen: Boss Dominator.«
»Also schaut euch mal die ganzen Elektromusik-Idioten an: Drum ‘n’ Bass, Eurodance, Trance, Industrial, Jungle, Big Beat, alles die gleiche Soße, aber egal – neuer Name drauf, und die Geldmaschine läuft. Das müssen wir auch machen.«
»Und? Was ist dein Vorschlag?«
»Also ich hab jetzt noch keine Idee, aber ich denke, unser Style sollte auf jeden Fall einen deutschen Namen haben, einfach um uns abzugrenzen, versteht ihr?«
»Anarcho-Breitcore?«
»Anarcho-Breitcore ! Genau, Tobi, das ist es doch
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