Kaltduscher
wie sie ihre Lippen beim Sprechen bewegt. Leider gefällt mir nicht, was ich höre.
»Ja, gut… Und am besten jetzt sofort, verstehe… Also in einer halben Stunde könnte ich es schaffen, wenn ich mich beeile… Ja… Oh, das ist wirklich sehr nett von Ihnen… Gut, ich mache mich gleich auf den Weg.«
Während sie das Handy wegsteckt, sieht sie mich mit einem Blick an, mit dem man Steine schmelzen könnte.
»Stell dir vor, Krach, ich kann Lambert abholen.«
Schluck.
»Lambert?«
»Ach, hab ich noch gar nichts davon erzählt? Also, Lambert ist ein Laborhund. Musste ganz viele schreckliche Versuche über sich ergehen lassen und wird jetzt zum Glück am Institut nicht mehr gebraucht. Ich hab schon vor einem halben Jahr gefragt, ob ich ihn haben kann, wenn sie… na ja, und jetzt ist es so weit. Er wartet auf mich.«
»Aha.«
Ich hatte also recht. Aber so was von recht.
»Und jetzt haben wir noch keine Hose für dich gefunden.«
Sie guckt drein, als müsste sie mir mitten im Pazifik mein Rettungsboot unterm Hintern wegziehen. Aber auch wenn mein emotionaler Zustand absolut in diese Richtung geht, ich reiße mich zusammen wie ein guter Verlierer.
»Ach, ist schon in Ordnung. Ich find schon was.«
»Oder…«
Sie zieht tatsächlich ihren Kalender raus.
»Oder wir ziehen übermorgen Nachmittag noch mal los. Wie wärs? Kannst du da?«
»Hm, ich glaub schon. Da müsste ich vormittags Museumsdienst haben.«
»Schick! Dann nimmst du fürs Museum einfach mal die Anzughose, und den Rest kriegen wir dann schon hin. So, jetzt muss ich aber sausen. Tschüss, wir sehn uns.«
Sie drückt mich noch mal und verschwindet Richtung U-Bahn. So wird das nie was. Ich muss wirklich dringend mit Tobi reden.
*
Als ich unser Haus erreiche, kracht mir aus heiterem Himmel eine riesige Kiste vor die Füße, bricht auseinander und entlässt hunderte Zigarettenstangen auf den Bürgersteig. Ich brauche gar nicht hochzusehen, um zu wissen, was los ist. Die Polizei kann es mal wieder nicht lassen und versucht zum x-ten Mal, das Zigarettenschmugglernest im vierten Stock auszuheben. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Da könnten sie genauso gut versuchen, einen Mückenschwarm zu verhaften. Wo ich auch hingucke, schwirren kleine Vietnamesen rum. Sie rennen über die Dächer, klettern an Hausfassaden hoch und runter, spielen mit den Polizisten Fangen auf dem Bürgersteig, schlüpfen ihnen zwischen den Beinen durch und erschrecken sie mit angedeuteten Kung-Fu-Tritten. Einer der Polizisten ist so fett, dass sich ein Vietnamese minutenlang unter seinem Bauch verstecken kann. Nikotinsüchtige aus allen Schichten strömen heran, raffen mit leuchtenden Augen das aus den Fenstern geworfene Beweismaterial an sich und machen das Chaos perfekt. Der Einsatzleiter sitzt mit aufgerissenen Augen in seiner Wanne und klappt hilflos den Mund auf und zu. Hin und wieder beugt er sich zum Mikro, beginnt, ein Kommando durch die Lautsprecher zu bratzen, bricht aber gleich wieder ab, weil die Lage von Sekunde zu Sekunde konfuser wird.
Ich sehe mir das Schauspiel eine Weile lang an und denke dabei immer noch an Amelie und diesen verflixten Labor-Lambert. Der Einzige, der hier außer mir noch völlig ruhig im Getümmel steht, ist ein gutausehender großer blonder junger Mann in Jeans und rotem T-Shirt. Auf dem Rücken trägt er einen prall gefüllten Profi-Bergrucksack, der bestimmt mehr gekostet hat als meine gesamte Garderobe, und seine Gesichtsfarbe ist so gesund, dass man sicher sein kann, er kommt nicht von hier. Erst als er sich langsam auf mich zubewegt, erkenne ich ihn wieder.
»Chrallo Krach.«
Ich weiß, er versucht hochdeutsch zu reden, aber ebenso gut könnte eine Nachtigall versuchen zu krähen.
»Hallo Reto, alles klar?«
»Alles klarch, odrch?«
Er guckt versonnen Richtung Einsatzleiter.
»Das rchat er sich wohl auchrchanders vorgestellt, odrch?«
»Ja, das hat er echt versaut. Wollen wir reingehn?«
Wir arbeiten uns durch das Gewusel aus Vietnamesen und Polizisten die Treppe hoch. Ein Glück, dass die Polizisten ein klares Beuteschema haben, sonst stünden wir beide schon längst mit dem Gesicht zur Wand und würden gefilzt. Reto guckt sich das Treiben allerdings so neugierig an, als würde er sich genau das als Eröffungszeremonie für sein Berliner Leben wünschen.
Tobi und Gonzo sind noch nicht da. Na ja, dann werde ich wohl jetzt eine halbe Stunde den Willkommens-Kasper für unseren neuen Mitbewohner machen. Wenn sie dann
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