Kaltduscher
etwas bedeutet hatte, seelisch malträtiert hatte. Bald darauf stellte die Erde ihre sinnlosen Kampfhandlungen gegen die friedlichen Bauern von Centaurus 3 ein. »Kongress verabschiedet Gesetz zur dauerhaften Abschaffung von Kriegs- und Raumfahrteinsätzen«, las Gwendolin eines Morgens in ihrer Zeitung und nahm die Neuigkeit mit einer Mischung aus Begeisterung und Langeweile auf. Sie war nachdenklich und starrte versonnen in den Regen, der seit heute Morgen herunterkam und nicht aufhören wollte. Zeitungen, Schlagzeilen, Fernsehen – all das hatte sie viel zu früh ihrer kindlichen Neugier auf die Dinge beraubt. Wenn sie nicht bald anfangen würde, sie wiederzufinden, wäre es irgendwann zu spät.
Tobi:
Auch wenn sie es nicht ahnte, hatte sie zu diesem Zeitpunkt gerade mal noch 10 Sekunden zu leben. Einige tausend Kilometer über ihr feuerte nämlich gerade das zotlaarganische Mutterschiff die erste Salve Akio-Exkalibrator-Raketen ab. Die Liberalen hatten, ermutigt durch die alljährlichen Friedensmärsche der Landfrauen, den unilateralen Raumfahrtsabrüstungsvertrag durch den Kongress gepeitscht, und die Menschheit war nun ein wehrloses Angriffsziel für alle feindlichen außerirdischen Imperien. Bereits zwei Stunden nach Unterzeichnung des Vertrags hatte die zotlaarganische Flotte Kurs auf die Erde genommen, mit genügend Waffen an Bord, um den gesamten Planeten in die Luft zu jagen. Ungehindert drang die Akio-Exkalibrator-Rakete in die Erdatmosphäre ein. Wenige Sekunden später spürte selbst der Präsident in seinem geheimen mobilen Unterwasserstützpunkt auf dem Meeresboden die unvorstellbare Gewalt der Explosion, die Gwendolin und gut hundert Millionen weitere Menschen von einem Moment auf den anderen pulverisierte. Nachdem ihn das Entsetzen für einen kurzen Augenblick paralysiert hatte, schlug er energisch mit der Faust auf den Konferenztisch, um seinen Generalstab aus der Lethargie zu reißen.
Amelie:
Lieber Tobi, mir ist jetzt gerade endgültig klar geworden, dass es keinen Sinn mehr mit uns hat. Ich gehe jetzt raus, und geh mir bitte nicht hinterher.
Ich habe mich noch bis zum Einschlafen gefragt, wie Tobi es schaffen konnte, etwas dermaßen zu versauen. Aber das muss man wieder im Großen und Ganzen sehen. Er hat ja, wie gesagt, den Beginn ihrer Beziehung immer mit dem Wort peng umschrieben…
Verflixt, ich bin schon wieder weggepennt. Kein Wunder. Party bis neun Uhr morgens und anschließend nur drei Stunden Schlaf auf dem Gästehochbett, das ich mir auch noch mit Hendrik teilen musste. Aber es hilft ja nichts. Ich habe Martin-Gropius-Bau-Schicht. Hätte ich mal vorhin bloß nicht nur die Aspirins, sondern auch die Familienpackung Amphetaminkapseln aus Tobis Medikamentenlager mitgenommen.
Wenigstens hat sich jetzt gerade ein interessanter Mann an einem Bild drei Meter neben mir festgebissen. Optisch nicht weiter auffällig. Anfang vierzig, dezent gemustertes Hemd, Andeutung eines Oberlippenbarts. Aber wie er das Bild betrachtet… so vertieft und gleichzeitig so abgeklärt. Ja, keine Frage, er ist irgendwie vom Fach… andererseits, irgendwas sagt mir, dass ihm das Bild doch nicht so richtig nahgeht, obwohl er es so konzentriert ansieht… die Ohren sprechen mal wieder Bände… was ist er von Beruf? Was treibt ihn her?
Es gibt kaum etwas Besseres, um mich wach zu halten, als solche Fragen. Das Blöde an meinem Job ist, dass ich nicht einfach auf ihn zugehen und Konversation machen darf, um mehr rauszukriegen. So was kann ziemlich in die Hose gehen. Der gewöhnliche Museumsbesucher hält Museumsaufpasser wie mich nämlich für Menschen niederer Entwicklungsstufe. Wenn wir uns nicht konsequent zurückhalten, heißt es gleich, gestörter Kunstgenuss, Beschwerde beim Chef und so weiter. Neue Kollegen, die denken, es ist eine gute Idee, ihr redseliges Berliner Gemüt in den Job einzubringen, bekommen das ganz schnell auf bitterste Weise zu spüren. Nein, ich bin Profi, ich weiß mich zu zügeln. Ich ziehe als Ersatzhandlung meinen Zeichenblock raus und versuche, den Mann zu zeichnen. Das Ergebnis kann man natürlich vergessen, aber durch das Zeichnen behalte ich seine Körperhaltung besser im Kopf. Außerdem lässt mich dieser Akt ganz nebenbei immens in der Achtung der Besucher steigen. Sobald mein Stift auf dem Papier ist, verwandle ich mich in deren Köpfen vom geistig minderbemittelten Aufpass-Proll zum materiell minderbemittelten Kunststudenten. Das ist ein Riesenschritt. Da
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