Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
Vom Netzwerk:
würd mir an deiner Stelle keine XL-Shirts kaufen. Du bist höchstens L.«
    »Oh, hallo Julia, was machst du hier?«
    Ihr eigenes T-Shirt ist heute XXS. Vor allem am Bauch.
    »Amelie kann nicht. Lambert ist seit eurem Gig gestern nicht mehr bereit, auf die Straße zu gehen. Und Amelie lässt er auch nicht weg.«
    »Verstehe. Du…«
    »Genau, ich darf sie vertreten.«
    Sie sagt das ganz gleichgültig. Weder genervt noch freundlich. Aber irgendwie fragt sie sich wohl schon, warum ich mir nicht selber eine Hose kaufen kann.
    »Äh, nett von dir.«
    »Dann lass uns mal starten.«
    Hu, ist das komisch. Ich glaube, ich kann nur mit Amelie Hosen aussuchen. Mit Julia bin ich noch nicht so weit. Aber es ist zu spät. Sie ist schon zu den Jeans vorgeprescht.
    »Tja, also das ist ein ganz schöner Wust hier, was, Julia? Soll ich jetzt zum Beispiel Slim Fit oder Regular Waist nehmen?«
    »Keine Ahnung. Musst du einfach mal anziehen.«
    »Tja, ne, ist wohl das Beste.«
    Ich angle mir wahllos fünf Hosen aus verschiedenen Fächern.
    »Schau doch mal hin, Krach, die sind alle Taille 36.«
    »Oh, ist das zu groß?«
    »Taille 36. Unglaublich. Und deinesgleichen, die haben mal eine Frau beim Fernsehen rausgeschmissen, nur weil sie aus Versehen Schalke 06 gesagt hat.«
    »Schalke 05 hat sie gesagt.«
    »Sieh mal an. So was weißt du natürlich wieder ganz genau.«
    »Carmen Thomas, aktuelles Sportstudio 1973.«
    »Unglaublich, mit was ihr Typen euch immer beschäftigt.«
    »Na hör mal, das gehört zum Legendenschatz der Nation.«
    »Und die arme Frau wurde dafür rausgeschmissen.«
    »Ich meine, das ist doch lustig. Wenn du heute einen Schalker ärgern willst, brauchst du nur Schalke 05 sagen.«
    »Hallo? Sie wurde dafür rausgeschmissen!«
    »Das ist ein Gerücht. Sie wurde gar nicht rausgeschmissen.«
    »Nicht?«
    »Nein, es gab, soweit ich weiß, nur eine Hetzkampagne in der Bild-Zeitung.«
    »Ach, nur eine Hetzkampagne in der Bild-Zeitung. Na, dann bin ich ja beruhigt.«
    Irgendwie ist komische Stimmung zwischen uns. Mal bisschen lustig, mal bisschen aggressiv, aber beides nicht so richtig. Vielleicht besser ein anderes Thema…
    »Weißt du, was Caio mir als nächsten Job andrehen will?«
    Dreck. Verplappert. Das passiert mir immer wieder. Ich suche ein Ausweichthema und nehme ausgerechnet etwas, was ich streng geheim halten will.
    »Was denn?«
    »Ach, ist eigentlich noch nicht ganz sicher. Konzentrieren wir uns lieber aufs Hosenkaufen. Guck mal, die da ist vielleicht…«
    »Jetzt sag doch.«
    »Na gut, ich werde die Stimme von Ernie.«
    »Du meinst doch nicht etwa Sesamstraßen-Ernie?«
    »Aber nur vertretungsweise.«
    »Sesamstraßen-Ernie!«
    »Ist auch echt noch gar nicht sicher.«
    »Jetzt freu dich doch!«
    »Mach ich ja.«
    Julia klaubt mir jetzt doch selbst ein paar Hosen zusammen. Es geht einfach schneller so. Ich verschwinde in der letzten, noch freien Umkleidekabine. Wenigstens hat man hier im Gegensatz zum Made In Berlin schön viel Platz und gutes Licht. Ich bin im Nu umgezogen und zeige mich.
    »Nein, dafür hast du viel zu wenig Hintern.«
    »Aha.«
    Also die nächste.
    »Schon besser, aber dein Hintern, also ehrlich, irgendwie hast du keinen.«
    »Jetzt mach aber mal nen Punkt.«
    Ich verziehe mich grummelnd wieder in meine Höhle. Amelie, warum hast du mich im Stich gelassen?
    Gerade als ich die Hose wieder ausgezogen habe, geht die Tür auf.
    »Hier, die habe ich noch gefunden.«
    Ich fasse es nicht. Julia steht in meiner Umkleidekabine. Hallo, ich habe ein Schamgefühl. So wie die meisten Menschen.
    »Störts dich, wenn ich hier drinbleibe?«
    »Och, nicht wirklich.«
    Na gut. Das ist halt Julia.
    »Der Verkäufer da draußen starrt mir nämlich die ganze Zeit auf den Ausschnitt.«
    »Guter Geschmack, der Mann.«
    »Hey!«
    »Also, das war als Kompliment gemeint.«
    »Jetzt halt den Mund und zieh die Hose an.«
    Na gut. Gentleman-Charme geht anders. Aber muss man da gleich so patzig werden?
    »Tschuldigung.«
    Tschuldigung ist nie verkehrt. Das nimmt den Dampf raus und signalisiert Verständnis. Außer natürlich, wenn man im selben Moment irgendwas macht, was überhaupt nicht in Richtung Tschuldigung geht. Davor sollte man sich wirklich hüten. Schlimmer kann man jemanden kaum provozieren. Aber, auch wenn natürlich alles wieder ein total unglücklicher Zufall ist, ein fahrig aus den Bundschlaufen einer Hose gezogener Ledergürtel, dessen eines Ende sich für einen kurzen Moment verselbständigt und dabei

Weitere Kostenlose Bücher