Kaltduscher
der armen Julia, die sich natürlich ausgerechnet in diesem Moment bückt, um einen Kleiderbügel aufzuheben, wie eine Dressurpeitsche auf die Wange klatscht, geht natürlich genau in diese Richtung.
Tschuldigung – klatsch.
Da kann ich schon verstehen, dass sie irritiert ist. Und ich muss sagen, es hat schon was sagenhaft Unwahrscheinliches, dass ich in dichter Folge derselben Frau dreimal hintereinander aus Versehen körperlich weh tue, aber gemessen an dem, was nun folgt, ist das schon fast eine Lappalie. Kann man natürlich endlos grübeln, wie es so weit kommen konnte. Vielleicht liegt es daran, dass eine H&M-Umkleidekabine bei aller Großzügigkeit doch zu eng für eine Schlägerei wie auf unserer Party ist, vielleicht auch daran, dass man sich in fremder Umgebung immer anders verhält, vielleicht auch an der Luft, der Tageszeit, Biorhythmus, Mondphase, Schaltjahr oder alles zusammen. Wirklich schwer zu sagen. Jedenfalls merken wir nach ein bisschen Rangelei auf einmal, dass wir gar nicht mehr rangeln, sondern Sex haben. Kein Zweifel. Wir tun es. Hier und jetzt. Für einen kurzen Moment denke ich noch nach, wann denn genau der Zeitpunkt war, als wir vom Rangeln zum Sex übergegangen sind. Vielleicht schon, als sie begann, mich gegen die Wand zu drücken? Vielleicht auch erst, als ihr T-Shirt im Eifer des Gefechts immer weiter hochrutschte und sie nichts dagegen unternahm? Vielleicht aber auch erst, als ich ohne die geringste Furcht ihr Knie zwischen meine Beine gelassen habe? Oder war es doch eher eine Zeitspanne als ein Zeitpunkt? Während wir uns, so fest wir können, mit allen dazu tauglichen Körperteilen aneinanderdrücken, kneten, kneifen, schwer atmend von Wand zu Wand taumeln und uns dabei hin und wieder im großen Spiegel ansehen, verschwindet die Frage blitzschnell am Horizont und macht Platz für Explosionen, Eruptionen und die ganze übrige Galerie der inneren Bilder für unaufhaltsam Richtung Königsorgasmus marschierende Lust. Das muss ein Traum sein.
*
Wir sitzen auf dem Teppichboden der Umkleidekabine und lehnen aneinander. Julia hält mit beiden Händen meinen Arm fest und drückt ihn an sich. Im Spiegel sehen wir, wie das freundliche Umkleidekabinenlicht unsere Haut umschmeichelt. Ab und zu schauen wir uns in die Augen und lächeln uns an wie zwei Mona Lisas. Die Zeit steht still. Oder sie rast, wir wissen es nicht. Wir müssen auf jeden Fall warten, bis wir alles in uns aufgenommen haben, was gerade unsichtbar in uns und um uns herumschwebt.
Irgendwann sprechen wir dann doch wieder.
»Das war…«
»Ja, das war…«
»Hm…«
»… Schalke 07?«
»Schalke 08!«
»Mindestens.«
Frische-Deo-Pitch
»Du hast ja immer noch Retos Hose an?«
»Ja.«
»Nichts gefunden mit Julia?«
»Nein.«
Bloß schnell das Thema wechseln. Ich will Amelie weder erzählen, was wir den ganzen Nachmittag über in den Umkleidekabinen bei H&M, Zara, Kaufhof, C&A, Respectman und zum Schluss aus lauter Übermut auch noch bei Herrenausstatter Kiebling gemacht haben, noch dass wir jede Aktion anschließend auf der nach oben offenen Schalke-Skala bewertet haben. Ich muss das erst mal verarbeiten.
»Jauuul!«
»Ja, ist ja gut Lambert. Aber du musst dich jetzt auch mal ein klein wenig zusammenreißen.«
»Julia hat gesagt, der lässt dich gar nicht mehr raus?«
»Ja, es ist ein Elend. Aber ich muss jetzt wohl auch mal ein bisschen hart zu ihm sein. Ich gewöhne ihn schrittweise an neue Orte. Hier in eurer Küche fühlt er sich schon ganz wohl.«
»Super.«
»Tut mir übrigens leid, dass ich nicht kommen konnte.«
»Ist schon in Ordnung. Kannst ja nicht den Hund in den Herzinfarkt treiben, nur wegen meiner Hose.«
»Dein Handy war halt aus im Museum. Da hab ich mir gedacht, frag ich einfach Julia. Die hat ein gutes Auge. Wir gehen auch immer zusammen einkaufen.«
»Klar.«
»Aber wie es aussieht, war sie doch keine gute Vertretung.«
»Das… kann man so und so sehen.«
Als ob es nicht reicht, dass ich gerade mit der besten Freundin der Frau, in die ich eigentlich verknallt bin, aus heiterem Himmel eine Tour d’orgasme durch den Berliner Textileinzelhandel gemacht habe. Nein, der erste Mensch, mit dem ich danach spreche, ist auch noch ausgerechnet die Frau, die ich gerade, nun ja, betrogen ist das falsche Wort, also betrogen hätte, wenn, ja wenn… Hält der Welterfahrungsschatz vielleicht irgendwo ein Beispiel für diese Konstellation bereit? Eine Blaupause, aus der ich herauslesen
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