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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Stimme?«
    »Ich hab jedenfalls die letzten Stunden nicht mit Rumschreien verbracht.«
    »Schauen wir mal, was geht, was?«
    »Und sie haben dir wirklich nicht mal gesagt, was ich da überhaupt vorsingen soll?«
    »Nein, sonst hätte ich dirs natürlich gesagt.«
    »Ist doch eigentlich komisch, oder?«
    »Ja, schon. Die sind im Moment halt recht hektisch. Wenn Ernie keine Stimme mehr hat, bedeutet das Ausnahmezustand.«
    Er versucht, professionell gelassen dreinzugucken, aber ich kenne ihn gut genug, um zu sehen, dass er diesmal wirklich nervös ist.
    In Hamburg angekommen, wursteln wir uns zum Taxistand durch. Zwanzig Minuten später stehen wir vor der Einfahrt des Studiogeländes. Caio spricht ein paar Worte mit dem Pförtner, dann geht es weiter. Ich würde mich auf dem verwinkelten Gelände wahrscheinlich nicht einmal mit einem Navigationsgerät zurechtfinden, aber Caio steuert souverän den richtigen Bau an und fragt sich bis zur richtigen Tür durch. Ehe ich mich versehe, stehen wir in einem Tonregieraum mit einem gigantischen Mischpult. Die Luft ist stickig. Ein paar bebrillte Männer sitzen mit finsteren Mienen auf Bürostühlen herum. Schwere Stresssituation, keine Frage. Extrem steife Nackenpartien.
    Hinter einer schalldichten Glasscheibe ist ein Aufnahmeraum, in dem eine kleine Herde junger Männer versammelt ist, die darum wetteifert, wer am verzagtesten aussieht. Die Brillenmänner schenken ihnen keine Beachtung. Stattdessen schauen sie uns so grimmig an, als hätten wir gerade in ihre Porzellanentensammlung getreten. Caio ist aber nicht der Typ, der sich ins Bockshorn jagen lässt.
    »Guten Tag. Mein Name ist Caio Wesenberg. Und das ist…«
    »Was wollen Sie?«
    »Nun, ich hatte mit Herrn Böltinghausen telefoniert wegen…«
    Alle gucken den Mann ganz hinten in der Ecke an, der wohl Herr Böltinghausen ist. Der erstarrt, fährt nach einem kurzen Moment mit der Hand durch die Luft und guckt genervt auf den Boden.
    »Ja, stimmt, hatte ich vergessen.«
    Unheilvolles Schweigen. Es ist klar, dass die Herren einfach nur überlegen, wie sie uns möglichst schnell wieder loswerden können, ohne gegen geltende Menschenrechtskonventionen zu verstoßen. Ich will lautlos verschwinden, aber Caio hält mich mit eisernem Griff am Arm fest. Schließlich stöhnt der Älteste der Brillenmänner kurz auf, sieht Herrn Böltinghausen mit einem vernichtenden Blick an und sagt: »Also wenn, dann jetzt gleich.«
    Caio entspannt sich etwas.
    »Wunderbar. Dann…«
    »Ja, was ist? Brauchen Sie ein Taxi zum Mikrofon?«
    Wow, was für eine Laune. Mit dem Blick könnte er einen Elefanten verscheuchen.
    »Äh, welche Tür?«
    »Da hinten. Und dann rechts.«
    Er sieht aus, als hätte er unerträgliche Kopfschmerzen. Ich nehme die Beine in die Hand. Drei Sekunden später stehe ich im Aufnahmeraum. Die verzagten jungen Männer lassen mich bereitwillig zum Mikro vor. Der Lautsprecher an der Decke wird unsanft eingeschaltet. Ich höre die Stimme des Kopfschmerzmanns.
    »Knack… Was haben Sie vorbereitet?«
    »Oh… eigentlich nichts. Caio, äh, Herr Wesenberg sagte…«
    Der Lautsprecher ist wieder aus. Ich sehe durch die Scheibe, wie dem Kopfschmerzmann nun endgültig das Gesicht herunterfällt und wie Herr Böltinghausen versucht, im Erdboden zu versinken. Caio fängt an zu reden und zieht dabei sein Aufnahmegerät aus der Tasche. Die Männer fassen sich an die Köpfe und sehen auf ihre Uhren, aber Caio redet weiter auf den Kopfschmerzmann ein. Der fügt sich schließlich seinem Schicksal.
    »Knack… Herr…«
    »Krachowitzer, Oliver Krachowitzer.«
    »Also Oliver, Sie bekommen jetzt was von Ihrer eigenen Band über den Kopfhörer eingespielt. Singen Sie einfach dazu.«
    Während ich mir den Kopfhörer überstülpe, sehe ich, wie alle Brillenmänner außer dem Kopfschmerzmann und Herrn Böltinghausen den Regieraum verlassen. Arschgeigen. Sie nutzen mein Vorsingen für eine Kaffeepause. Egal, ich werde es versuchen. Bin ich Caio schuldig.
    Während das Vorspiel zum ersten Andrej-Rebukanow-Song aus Caios Aufnahmegerät über den Kopfhörer in meine Ohren tüdelt, schließe ich die Augen und versuche, alles um mich herum zu vergessen.
    Ohmmm. Du bist Ernie.
    Ich lasse den kleinen Kerl vor meinem geistigen Auge erscheinen. Der absurd breite Schädel, die orange Haut, die großen neugierigen Augen, die Knubbelnase, die Schwarzer-Handfeger-Frisur und das impertinente Dauergrinsen. Kurz bevor ich einsetzen muss, gelingt es mir

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