Kaltduscher
mit Papa und Mama auf den Logenplätzen im ersten Rang gesessen hätte.
In der U-Bahn stelle ich fest, dass meine Terminsituation absolut verheerend ist. Ladidadidam, Aufnahmeprüfung – die Dinge schießen in Lichtgeschwindigkeit auf mich zu. Ich kann nur noch ein Rumpfvorbereitungsprogramm fahren und aus den wertvollen verbliebenen Stunden alles rauspressen, was geht. Ich werde jetzt während meiner Museumsschicht immer wieder die Warten-auf-Godot-Szene sprechen, bis der Tonfall 100 Prozent stimmt. Mir völlig egal, ob Dr. Grobe reinkommt oder Sir Charles Lytton oder wer auch immer. Sollen sie mich meinetwegen rausschmeißen.
*
Ich glaube, ich kann stolz auf mich sein. Der Text sitzt, und ich habe trotzdem meine Arbeit nicht über Gebühr vernachlässigt, weil um die Zeit eh kaum einer da ist. Und ich habe festgestellt, dass man mit einem »Warten auf Godot« in der Hand fast genauso in der Achtung der Besucher steigt wie mit einem Zeichenblock.
Bevor ich unsere Wohnungstür aufschließe, halte ich kurz inne. Ich darf nicht nachlassen. Jetzt ist Ladidadidam dran. Alles andere wird ausgeblendet. Der Aufnahmetermin morgen ist auf die Minute präzise zwischen dem Geburtstagsbrunchtermin bei meinen Eltern und der Arturo-Ui-Premiere im Berliner Ensemble eingebettet. Da darf nichts schiefgehen.
Also – wenn ich jetzt in die Wohnung reinkomme, interessiert es mich einen Dreck, wer gerade in der Küche sitzt oder durch den Flur turnt. Ich sage höchstens hallo, verschwinde dann schleunigst in mein Zimmer und schließe ab. Und das sollte ich auch künftig öfter mal machen. Ehrlich, was passiert denn schon groß in unserer Küche und in unserem Flur? Würde ich irgendwas verpassen, was wirklich Bedeutung für mich hat? Na also.
Tür auf, Kopf hoch. Es ist eh gerade weit und breit keiner zu sehen. Bestens. Ich biege nach links ab durch meine Tür und schließe sie hinter mir zu. Geht doch. War ganz einfach. Tasche in die Ecke, Schuhe aus, ein paar kurze Atemübungen…
NÄÄÄÄÄÄÄÄT!
Interessiert mich überhaupt nicht. Gibt genügend junge Leute hier, die die Tür aufmachen können… Also, ein paar kurze Atemübungen… Ich höre Schritte, ich höre die Tür, ich höre Stimmen… Ganz egal, ist nicht wichtig, ich denke nicht einmal darüber nach, wer und was das jetzt sein könnte… Weiter, Atemübungen. Eiiiiiin, kurz halten, auuuuuus. Eiiiiiin, kurz halten, auuuuuus. Eiiiiiin, kurz halten, auuuuuus.
Und jetzt warmsingen…
TÜDELÜDELÜT TÜDELÜDELÜT
Ah, Handy ausschalten. Sollte für Profis eigentlich selbstverständlich sein, aber es ist ja nie zu spät, damit anzufangen. So. Weiter warmsingen. Dur-Dreiklänge rauf und runter, einmal durch die chromatische Tonleiter. La la la la la la laaa – la la la la la la laaa – la la la la la la laaa – la la…
Muss reichen für heute. Ausnahmesituation. Ich bin unter Zeitdruck. Aber künftig keine Probe mehr ohne zehn Minuten Warmsingen.
Konzentration. Stimmgabel. Ton suchen. Takt suchen. Und: Ladidadidam Ladidadidam, wie heißt denn nur dieses Lied?
Ladidadidam ladidadidam, wie heißt denn nur dieses Lihied?
*
Es geht wirklich. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, ich habe keine Ahnung, wie oft es in der Zwischenzeit NÄÄÄÄÄÄÄÄÄT! gemacht hat, wie viele Lacher, wie viele Krach-Rufe und wie viele Geräusche, die ich überhaupt nicht einordnen konnte und die mich normalerweise sofort aus dem Rhythmus gebracht hätten, durch die Tür an mein Ohr gedrungen sind. Wenn man erst mal damit angefangen hat, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren, ist eben alles ganz leicht.
Ladidadidam ladidadidam, irgendetwas mit Herz?
Ladidadidam ladidadidam, oder etwas mit Schmeherz?
Es geht ladidadidam ladidadidam irgendwas mit nem Sonnenstrahl…
Ladidadidam ladidadidam, die Zeile kommt, glaub ich, zweima-hal…
Meine Stimme schnurrt wie ein Porsche-Motor. Ich könnte immer so weitersingen.
Nur der Text sitzt halt noch nicht hundert Prozent. Das ist gefährlich, weil ich mir da, wie gesagt, auf keinen Fall eine Blöße vor Studio-Bert alias Dr. McCoy geben will. Schon doof, dass ich das nicht wenigstens einmal im Duett proben kann. Vor allem die Passagen, in denen sich Ernie und Bert immer abwechseln…
Ich muss jetzt dringend mal aufs Klo, geht nicht anders. Aber auch wenn ich meine Zimmertür jetzt aufmache, heißt das noch lange nicht, dass ich wieder in den alten Trott zurückfalle. Kann ich mir gar nicht leisten im
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