Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
andere als fröhlich.
    »Ich will nur eines wissen«, sagte Abby. »Wer ist Nina Voss?«
    »Ich habe dir doch schon gesagt, ich weiß es nicht«, erwiderte Mark. »Können wir das Thema jetzt wechseln?«
    »Der Junge ist in einem kritischen Zustand. Er hat praktisch zweimal am Tag einen Herzkreislaufstillstand und steht seit einem Jahr auf der Empfängerliste. Jetzt steht endlich ein Herz AB positiv zur Verfügung, und du umgehst das offizielle Registrierungssystem. Du gibst das Herz einer Privatpatientin, die noch zu Hause liegt.«
    »Wir geben es nicht einfach weg, ist das klar? Es war eine klinische Entscheidung.«
    »Wessen Entscheidung?«
    »Aaron Levis. Er hat mich heute nachmittag angerufen und gesagt, daß Nina Voss morgen aufgenommen wird. Er hat mich gebeten, die Laboruntersuchungen des Spenders zu veranlassen.«
    »Das ist alles, was er dir erzählt hat?«
    »Im wesentlichen.« Mark griff nach der Flasche, um sein Glas nachzufüllen, und vergoß dabei Burgunder auf der Tischdecke.
    »Können wir jetzt endlich das Thema wechseln?«
    Sie beobachtete, wie er an seinem Wein nippte. Er sah sie nicht an, sondern wich ihrem Blick aus.
    »Wer ist diese Patientin?« fragte sie. »Wie alt ist sie?«
    »Ich möchte nicht darüber reden.«
    »Du bist derjenige, der sie operiert. Du mußt doch wissen, wie alt sie ist.«
    »Sechsundvierzig.«
    »Von außerhalb?«
    »Aus Boston.«
    »Ich habe gehört, sie würde aus Rhode Island eingeflogen. Das haben die Schwestern mir erzählt.«
    »Sie und ihr Mann verbringen den Sommer in Newport.«
    »Wer ist ihr Mann?«
    »Ein Typ namens Victor Voss. Das ist alles, was ich über ihn weiß, seinen Namen.«
    Sie machte eine Pause. »Woher hat Voss sein Geld?«
    »Habe ich irgendwas von Geld gesagt?«
    »Ein Sommerhaus in Newport? Nun mach aber mal einen Punkt, Mark.«
    Er sah sie noch immer nicht an, löste den Blick nicht von seinem Weinglas. Sie hatte ihn schon so oft über den Tisch hinweg angeblickt und all die Dinge gesehen, die sie anfangs zu ihm hingezogen hatten. Sein direkter Blick, die Lachfältchen aus einundvierzig Jahren, das bereitwillige Lächeln. Doch heute abend sah er sie nicht einmal an.
    »Ich wußte gar nicht, daß es so leicht ist, ein Herz zu kaufen«, sagte sie.
    »Du ziehst voreilige Schlüsse.«
    »Zwei Patienten brauchen ein Herz. Der eine ist ein armer, nicht versicherter Junge im Studentenkurs. Der andere hat ein Sommerhaus in Newport. Und wer kriegt den Hauptpreis? Es ist ziemlich offensichtlich.«
    Mark griff erneut nach der Weinflasche und goß sein Glas wieder voll, schon zum dritten Mal. Für einen Mann, der stolz auf seinen maßvollen Lebensstil war, langte er zu wie ein Quartalssäufer. »Sieh mal«, sagte er, »ich verbringe meinen ganzen Tag im Krankenhaus. Dann auch noch abends darüber zu reden, ist so ziemlich das letzte, worauf ich Lust habe. Also laß uns das Thema einfach ausklammern.«
    Sie schwiegen beide. Das Thema ›Wer bekommt Karen Terrios Herz?‹ war wie eine Decke, die jeden anderen Gesprächsfunken erstickte. Vielleicht haben wir uns schon alles gesagt, was es zu sagen gibt, dachte Abby. Vielleicht hatte ihre Beziehung den schrecklichen Punkt erreicht, wo sie sich ihre Lebensgeschichten erzählt hatten und wo es an der Zeit war, neuen Stoff zu finden. Wir sind erst ein halbes Jahr zusammen, und das Schweigen hat schon begonnen.
    »Der Junge erinnert mich an Pete«, sagte sie. »Pete war auch ein Red-Sox-Fan.«
    »Wer?«
    »Mein Bruder.«
    Mark erwiderte nichts. Er saß mit hängenden Schultern da und fühlte sich sichtlich unbehaglich. Das Thema Pete hatte ihn immer beunruhigt. Nun war der Tod für Ärzte auch kein behagliches Thema. Jeden Tag spielen wir mit dem Wort Verstecken, dachte sie. Wir sagen »verblichen«, notieren »Wiederbelebung erfolglos« und sprechen von »Exitus«. Doch das Wort »
gestorben
« benutzen wir fast nie.
    »Er war ganz verrückt nach den Red Sox«, fuhr sie fort. »Er hatte alle diese Baseball-Karten. Er hat sein Essensgeld gespart, um sie zu kaufen. Und dann hat er ein Vermögen für kleine Plastikschutzhüllen ausgegeben. Eine Schutzhülle für fünf Cent für ein Stück Pappe für ein Cent. Das ist vermutlich die Logik eines Zehnjährigen.«
    Mark nippte an seinem Wein. Er saß da, in sein Unbehagen gehüllt und isoliert gegen jeden ihrer Gesprächsversuche.
    Das Jubiläumsessen war eine Pleite. Sie aßen, fast ohne ein weiteres Wort zu wechseln.
    Als sie zurück in ihrem Haus in Cambridge waren,

Weitere Kostenlose Bücher