Kalte Herzen
knoten, als er bemerkte, daß das Herz sich zusammenballte.
»Guck dir das an!« sagte er. »Noch eiskalt und schon die erste spontane Kontraktion. Es kann es gar nicht erwarten loszuschlagen.«
»Schrittmacherkabel angeschlossen«, bestätigte Mark.
»Isoprenalin-Infusion läuft«, meldete Zwick. »Zwei Mikrogramm.«
Sie warteten darauf, daß das Isoprenalin Wirkung zeigen und das Herz die Kontraktion wiederholen würde.
Aber das Organ lag reglos da wie ein schlaffer Sack.
»Komm schon«, ermutigte Archer es. »Laß mich nicht hängen!«
»Weitere Medikamente?« fragte eine Schwester.
»Nein, gebt ihm eine Chance.«
Langsam ballte sich das Herz zu einem etwa faustgroßen Knoten und sank wieder schlaff auseinander.
»Isoprenalin auf drei Mikrogramm erhöht«, sagte Zwick. Es gab eine weitere Kontraktion. Dann wieder nichts.
»Na los«, meinte Archer. »Schubsen wir es noch ein bißchen an.«
»Vier Mikrogramm«, sagte Zwick, während er den Infusionsfluß höher drehte.
Das Herz zog sich zusammen und entspannte, zog sich zusammen und entspannte.
Zwick blickte auf den Monitor. QRS-Komplexe flimmerten über den Bildschirm. »Die Frequenz ist jetzt auf fünfzig.
Vierundsechzig. Siebzig …«
»Bring es auf einhundertzehn«, sagte Mark.
»Genau das mache ich gerade«, erwiderte Zwick und stellte das Isoprenalin nach.
»Sagen Sie im Aufwachraum Bescheid, daß wir jetzt zunähen«, forderte Archer eine Schwester auf.
»Die Frequenz ist bei einhundertzehn«, meldete Zwick.
»Gut«, erklärte Mark. »Wir nehmen sie von der Maschine ab.
Holt die Sonden raus.«
Zwick schaltete das Beatmungsgerät ein. Alle Anwesenden schienen gleichzeitig erleichtert aufzuseufzen.
»Jetzt können wir nur hoffen, daß sie und das Herz sich verstehen«, meinte Mark.
»Wissen wir, wie gut die Gewebefaktoren korreliert haben?«
fragte Archer und drehte sich zu Dr. Mapes um.
Doch hinter ihm stand niemand.
Abby war so auf die Operation konzentriert gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, wie der Mann gegangen war.
»Er hat den OP vor etwa zwanzig Minuten verlassen«, erklärte eine der Schwestern.
»Einfach so?«
»Vielleicht mußte er einen Flug erwischen«, vermutete sie.
»Ich hatte nicht mal Gelegenheit, ihm die Hand zu schütteln«, sagte Archer und wandte sich wieder der Patientin auf dem OP-Tisch zu. »Na, dann wollen wir mal zunähen.«
Sieben
N adja hatte genug. Das Gequengel, die ewigen Forderungen, die ganze aufgestaute Kinderenergie, die sich regelmäßig in Geschrei und Rangeleien entlud, hatten sie völlig ausgelaugt. Und jetzt war sie auch noch seekrank. Gregor, der große Affe, war auch krank, genau wie die meisten Jungen.
An den stürmischsten Tagen, wenn der Schiffsrumpf in den Wellen der Nordsee stampfte wie ein Hammer auf den Ambos und sie alle stöhnend in ihren Kojen lagen, drangen die Geräusche und Gerüche ihres El ends bis zu den höhergelegenen Decks. An solchen Tagen blieb die Messe dunkel und verlassen, die Gänge waren menschenleer, und das ganze Boot wirkte wie ein großes, stöhnendes Geisterschiff.
Jakov war es noch nie so gut gegangen.
Ohne auch nur den leisesten Hauch von Übelkeit zu verspüren, stromerte er unbehelligt auf dem ganzen Schiff herum. Niemand hielt ihn auf. Die Crew schien sich sogar über seine Anwesenheit zu freuen. Er konnte Koubichev im Maschinenraum besuchen, um in der lärmerfüllten Hölle aus stampfenden Kolben und Dieseldämpfen mit ihm Schach zu spielen. Manchmal gewann Jakov sogar. Wenn er hungrig wurde, konnte er in die Kombüse schlendern, wo Lubi, der Koch, ihm Tee, Borschtsch und Medivnyk anbot, den köstlich würzigen Honigkuchen aus seiner ukrainischen Heimat. Lubi redete nicht viel. Seine Gesprächigkeit erschöpfte sich in einem brummigen »Mehr?« oder »Genug?«, doch das Essen, das er servierte, sprach für sich selbst. Außerdem galt es, den staubigen Frachtraum zu erkunden, den Funkraum mit all den Skalen und Knöpfen und das Deck mit den Rettungsbooten, unter deren Persennings man sich verstecken konnte. Nur auf das Achterdeck des Schiffes konnte Jakov nicht gelangen. Er fand keinen Weg dort hinein.
Sein Lieblingsplatz war die Brücke. Kapitän Dibrov und der Steuermann begrüßten Jakov mit nachsichtigem Lächeln und erlaubten ihm, sich an den Kartentisch zu setzen. Dort zeichnete er mit dem Zeigefinger die Strecke nach, die sie schon zurückgelegt hatten. Von Riga über die Ostsee, dann durch den Sund vorbei an Malmö und Kopenhagen,
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